Der Flüchtling in meiner Wohnung

Maria und Dietmar Magnet aus Obritzberg in Niederösterreich haben eine syrische Flüchtlingsfamilie bei sich zu Hause aufgenommen.
Maria und Dietmar Magnet aus Obritzberg in Niederösterreich haben eine syrische Flüchtlingsfamilie bei sich zu Hause aufgenommen.(c) Stanislav Jenis
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Bei Asylwerbern ist oft die Rede von Massenquartieren, Kasernen, zuletzt sogar von Zeltlagern. Abseits davon gibt es aber auch Menschen, die Asylwerber privat unterbringen.

Gast ist vermutlich der falsche Begriff. Aber Familienmitglied trifft es wahrscheinlich auch nicht ganz. Es liegt irgendwo zwischen diesen beiden Punkten, schwankt mal in die eine, mal in die andere Richtung. Und bleibt dabei etwas, das die meisten Menschen nie kennengelernt haben oder jemals kennenlernen werden. Die Entscheidung, einen Flüchtling im eigenen Heim aufzunehmen, womöglich sogar eine ganze Familie, ist ein großer Einschnitt in den Alltag, in das Leben.

Und doch gibt es immer wieder Menschen, die das tun. Menschen wie Maria und Dietmar Magnet. Bei den beiden Lehrern aus Obritzberg in Niederösterreich wohnen seit Mitte Oktober dieses Jahres ein syrischer Flüchtling (41) mit seinen beiden zehn- und elfjährigen Neffen. „Wir haben von der Diakonie erfahren, wie groß die Not der Asylwerber ist, und uns spontan entschieden, die Familie aufzunehmen. Denn Zimmer haben wir in unserem Haus genug“, sagt Maria Magnet.

Natürlich brauche es einen gewissen Vertrauensvorschuss, wenn man fremde Menschen in sein Haus lasse. „Aber dieses Vertrauen wurde in keiner Weise enttäuscht. Im Gegenteil, wir wurden mit viel Dankbarkeit konfrontiert und sind glücklich darüber, diesen Leuten, die buchstäblich alles verloren haben, helfen zu können.“ Die Identität der Familie will sie nicht bekannt geben. „Sicher ist sicher. Schließlich musste die Familie in Syrien um ihr Leben bangen“, meint Magnet. „Man weiß nie, wem der Name bekannt vorkommt und welche Befindlichkeiten die Menschen haben.“

Besonders beeindruckt zeigt sich die 54-Jährige von der Unterstützung innerhalb der Gemeinde und der Diakonie. „Die Hilfsbereitschaft im Ort ist enorm. Wer auch immer etwas übrig hat – egal, ob Kleidung, einen Friseurgutschein oder Spielzeug, bringt es uns. Und bei Behördengängen ist immer die Diakonie für uns da, deren Einsatz wirklich beeindruckend ist.“


„Leute melden sich von selbst.“ Rund 170 Asylwerber hat die Flüchtlingshilfe der Diakonie in den vergangenen Monaten vermittelt, die nun bei Privaten in ganz Niederösterreich untergebracht sind. Weil die Privatunterbringung von der Landesregierung forciert wird, um das Lager in Traiskirchen zu entlasten. Und es hier möglich ist, dass Asylwerber direkt vom Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen in eine Privatunterkunft ziehen können, ohne deswegen aus der Grundversorgung zu fallen. „Die Leute melden sich von selbst“, sagt Birgit Koller, Einrichtungsleiterin der Sozialberatungsstelle Wien. „Die meisten wollen syrischen Familien helfen.“

Warum sie das machen? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Weil man helfen will. Weil genügend Platz vorhanden ist. Aber manchmal auch, weil damit ein Stück Leben in das eigene Heim geholt werden kann. Der eine oder andere mag auch darauf hoffen, finanziell von der Unterbringung zu profitieren. „Aber“, betont Koller, „wir sagen schon immer dazu, dass man damit kein Geld verdienen kann.“ Einzelpersonen bekommen bis zu 120 Euro Mietzuschuss vom Land, Familien insgesamt bis zu 240 Euro – unabhängig davon, wie groß die Familie ist. Dazu bekommen erwachsene Asylwerber 200 Euro Verpflegungsgeld pro Monat, pro Kind sind es 90 Euro.

In der Regel schicken die Menschen Fotos, anhand dieser Bilder versucht man sich einen Eindruck zu machen. Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen werden schließlich infrage kommende Asylwerber gefragt, ob sie in ein privates Quartier ziehen möchten. Wichtig dabei ist es zu erklären, wo die Reise hingehen soll. Immerhin wissen die meisten der Betroffenen noch nicht allzu gut über die Umgebung Bescheid. Also wird unter anderem mit Google Maps gezeigt, wie Niederösterreich strukturiert ist und wo man nun landen würde.


Als Arbeitskräfte eingesetzt. Und hier kommt es auch immer wieder dazu, dass Asylwerber lieber in Traiskirchen bleiben. „Da gibt es oft Häuser, die sehr abgelegen sind“, erzählt Birgit Koller. „Dort gibt es zum Teil keinen öffentlichen Verkehr und man ist auf den guten Willen der Vermieter angewiesen. Das ist für viele Flüchtlinge abschreckend.“ Einen Fall habe es auch gegeben, bei dem zwei Flüchtlinge nach einigen Tagen wieder zurück ins Lager nach Traiskirchen wollten – weil sie in der Privatunterkunft als unbezahlte Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Abgesehen davon habe man aber sehr gute Erfahrungen gemacht.

Was allerdings bei aller Bereitschaft meist nicht funktioniert, ist das gemeinsame Wohnen auf engem Raum. „Wir raten davon ab, Flüchtlinge bei sich auf der Couch schlafen zu lassen“, sagt Hermann Schuster, der bei der Caritas Wien für Wohnangebote zuständig ist. Optimal sei es etwa, wenn in einem Zweifamilienhaus ein ganzes Geschoß für eine Familie frei ist. Natürlich achte man dabei auch darauf, dass Mieter und Vermieter einander kennenlernen. Es gehe vor allem um Sympathie. Für Familien ist es dabei meist leichter, an Wohnraum zu kommen. „Bei alleinstehenden Männern gibt es oft ein gewisses Unbehagen“, sagt Schuster. „Und das Verhältnis von alleinstehenden Männern zu Familien ist 80 zu 20.“ Um sie in privaten Quartieren unterzubringen, sei ein weitaus höheres Engagement nötig.

Andrea Berger hat allerdings genau das getan und beherbergt seit einem Jahr einen jungen Afghanen in dem Haus, in dem sie mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt. Andrea Berger heißt in Wirklichkeit anders, doch möchte sie nicht mit ihrer Situation in der Öffentlichkeit auftreten. Wie sie dazu gekommen ist, einen Flüchtling aufzunehmen, kann sie gar nicht so genau sagen. Nur so viel, dass sie über einen Mailverteiler erfahren hat, dass für jemanden ein Platz gesucht wird. Und dass sie, nachdem sie mit ihrer Familie darüber gesprochen hat, ein leer stehendes Zimmer angeboten hat. Was das alles mit sich bringen würde, darüber machte sie sich nicht allzu viele Gedanken. „Man kann es sich vorher wahrscheinlich gar nicht vorstellen, aber dann wächst man einfach hinein.“

Einfach hineinwachsen in Situationen, auf die man vorher wohl gar nicht gekommen wäre. Wie es etwa ist, wenn man mit dem Sohn über das Taschengeld streitet – und es der junge Mann mitbekommt, der selbst gar keines hat. Wie man sich fühlt, wenn man im Nachthemd beim Frühstück sitzt – und jemand dazustößt, der nicht zur Familie gehört. Und natürlich geht es auch immer darum, wie man sich im Alltag zueinander verhält. Die Frage, ob man jemanden eher als Gast oder als Familienmitglied sieht und behandelt.

Was etwa beim gemeinsamen Familienessen zum Thema wird. Nicht immer ist es einfach, jemanden emotional einzubeziehen, der oft gar nicht so recht versteht, worum es überhaupt geht. Was nicht unbedingt an einer Sprachbarriere liegen muss. Der junge Afghane bei Familie Berger hat in Österreich Deutsch gelernt, spricht die Sprache mittlerweile gut. Es sind oft grundlegende Unterschiede, die im Zusammenleben sichtbar werden. Auf der einen Seite ein junger Flüchtling, der Krieg und Verfolgung miterlebt hat, der seine Familie in Afghanistan zurücklassen musste. Auf der anderen Seite eine österreichische Familie, die materielle Not vor allem aus den Nachrichten kennt. Hier eine gemeinsame Basis zu finden ist nicht immer einfach.


Pünktlichkeit und Supervision. Auch interkulturelle Missverständnisse treten gelegentlich auf. Etwa, was den Begriff der Pünktlichkeit angeht. Hier mussten sich der Afghane und die Familie erst annähern. So wie auch Verhaltensmuster und Rollenbilder in der Familie. Als der junge Flüchtling ein Problem mit seinem Computer hatte, sagte Andrea Berger zu ihm, er möge ihren Sohn bitten, dass er ihm dabei helfen soll. Dann mache er es sicher viel eher, als würde sie es ihm anschaffen. „Da war er richtig fassungslos, dass ein Kind nicht das tut, was die Mutter von ihm verlangt.“

So spannend die Situation für die Familie auch ist, gibt es doch etwas, was die Mutter vermisst. „Eigentlich brauchte man Supervision.“ Die Gelegenheit, regelmäßig mit jemandem zu sprechen, der fachkundig ist und der nicht urteilt. Denn gerade in einer Situation, in der klassische Kategorien nicht passen, bleiben immer wieder Fragen offen. Und genau eine solche Situation bietet sich zumindest in diesem Fall – der junge Afghane ist kein Familienmitglied. Aber Gast trifft es auch nicht ganz.

Unterkunft

Angebot. Falls Sie eine private Unterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung stellen wollen, melden Sie sich bitte unter diesen beiden E-Mail-Adressen:
asyl-integration@
caritas-wien
oder:
wohnberatung.noe@
diakonie.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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