Mordanklage: Gutachterriege soll „Krimi“ lösen

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Mit der rekordverdächtigen Anzahl von neun Sachverständigen will die Justiz im Mordprozess um einen Wiener Banker die Wahrheit ergründen.

Wien/Korneuburg. Sie sind als sachkundige Helfer bzw. Beweismittellieferanten aus den Gerichtssälen nicht wegzudenken: die Gutachter. So ziemlich alle auch noch so speziellen Fachgebiete werden von ihnen aufbereitet. Was sich am Dienstag im Landesgericht Korneuburg abspielte, mutete rekordverdächtig an. Allein die Anklage hatte neun Gutachter beantragt, zudem saßen noch zwei Privatgutachter der Verteidigung im Saal.

Zweiter Tag im viel beachteten Mordprozess gegen den früheren Vorstand einer österreichischen Privatbank: Der 45-jährige S. soll am 18. September 2015 laut Anklage seinen um zwei Jahre jüngeren Stiefbruder J. in seiner Wiener Wohnung aus Eifersucht erschossen haben. Es sei kein Mord gewesen, sagt S. (Verteidigung: Rudolf Mayer), sondern fahrlässige Tötung; S. will „aus Dummheit“ derart mit einer seiner beiden Waffen, einer Glock-Pistole, hantiert haben, dass ein Schuss brach. J. wurde aus nur 50 bis 70 Zentimetern Entfernung in den Kopf getroffen. Diese Distanz entstammt dem Gerichtsgutachten des bekannten Schießsachverständigen Ingo Wieser. Diesem stand auch ein Chemiker zur Seite, Stichwort: Schmauchspuren. Gerichtsmediziner Christian Reiter wiederum erläuterte die Todesursache.

Zudem hatte die deutsche Spezialistin für Blutspuren-Analyse Silke Brodbeck in ihrer Expertise die – wenn auch vagen – Schilderungen des Angeklagten zu dessen Position bei Schussabgabe in Zweifel gezogen. Auch Brodbeck war nun zum Prozess geladen.

Handynachricht als Motiv?

Weiters kam ein Informatikexperte zu Wort. Auf dessen Erkenntnisse stützt sich die Anklage. Offenbar habe S. die für seine Exfrau (S.: „Ich liebe sie immer noch“) bestimmten Mobiltelefon-Nachrichten mitlesen können. Grund dafür: Sein Handy war noch mit dem seiner Exfrau, einer Wiener Staatsanwältin, synchronisiert. So habe S. laut Anklage eine anzügliche Botschaft an seine Exfrau entdeckt – eine Botschaft, die vom Stiefbruder verfasst worden war. Auf die konkrete Frage, ob der Angeklagte die bei der Staatsanwältin eingehenden iMessages oder SMS mitlesen konnte, meinte der Gutachter: „Ich würde davon ausgehen, dass er es konnte. Auch mit dem beschränkten Wissen eines Endnutzers.“

Für Diskussionen sorgt indes folgender Umstand: Die Staatsanwältin hatte am Montag, dem ersten Prozesstag, als Zeugin auf ihr Recht verzichtet, die Aussage zu verweigern. Dieses sogenannte Entschlagungsrecht wäre ihr als Exfrau des Angeklagten zugestanden. Allerdings legte sie ihre Aussage erst ab, nachdem die Öffentlichkeit aus dem Gerichtssaal ausgeschlossen worden war. Kurz vor der Verhandlung hatte sie aber in einem Interview sehr wohl öffentlich Stellung genommen. Und sich dabei mit den Worten „Ich bin davon überzeugt, dass es ein Unfall war“ der Erklärung ihres Ex-Mannes angeschlossen.
Heute, Mittwoch, soll das Urteil verkündet werden. (m. s./APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2017)

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