Stundenzählen bis zur Heiligsprechung

FILES PERU POPE JOHN PAUL II
FILES PERU POPE JOHN PAUL II(c) EPA (Stf Files)
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In Polen bereitet sich alles auf die Heiligsprechung von Johannes Paul II. in einer Woche vor. Der 2005 verstorbene polnische Papst wird in dem Land weiterhin als moralische Autorität verehrt.

Am schlimmsten war es in Lublin. Dort musste wegen Johannes Paul II. sogar die Polizei ausrücken. Der Grund könnte profaner nicht sein. Vor Ostern hatte die Polnische Nationalbank vier Sondermünzen zur Heiligsprechung des 2005 verstorbenen polnischen Papstes am kommenden Sonntag herausgegeben. Der Verkauf der Zwei-, Zehn-, 100- und 500-Zloty-Münzen in den regionalen Niederlassungen der Staatsbank stieß auf derart großes Interesse, dass sich vor den Verkaufsstellen lange Schlangen bildeten – wie zu kommunistischen Zeiten, als man sich um Fleisch anstellte. Dabei kam es in der Lubliner Schlange zu einer Schlägerei.

Am begehrtesten war trotz ihres stolzen Preises von umgerechnet 1800 Euro die auf 966 Prägungen limitierte silberne 500-Zloty-Münze. „Die verkaufe ich nie, denn Johannes Paul ist eine Autorität“, erzählte der 24-jährige Student Grzegorz der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. Er werde die Münze einmal seinem Sohn schenken, und der wiederum seinem Enkel. So bleibe das Andenken an den großen Tag in der Familie.

„Hinter diesem äußerlichen Interesse an Karol Wojtyla versteckt sich für viele Polen viel mehr“, sagt Agata Stachowiak vor einem Büchertisch mit Schriften von und über Karol Wojtyla in einem Warschauer Einkaufszentrum. „Zum einen hat Johannes Paul II. wesentlich zum Zerfall des Kommunismus beigetragen“, meint sie und verweist damit auf die historische Bedeutung des Papstes gerade in Polen, das fünf Wochen nach der Heiligsprechung auch den 25. Jahrestag der Wende von 1989 feiert. „Dazu kommt seine geistliche Dimension.“

Vor ihr liegt einer der jüngsten Bestseller Polens: „Karol Wojtyla – ich bin sehr in Gottes Händen“, eine 635-seitige Ausgabe seiner persönlichen Notizen zwischen 1962 und 2003. Stachowiak will gleich vier Bücher kaufen. „Als Ostergeschenke!“, sagt sie und lächelt. Das Buch ist für Laien kaum lesbar, auch wenn die lateinischen und italienischen Textteile sauber ins Polnische übersetzt wurden. Doch der Papst hat es geschrieben. Außerdem sollte sein persönlicher Sekretär, der heutige Krakauer Erzbischof, Kardinal Stanislaw Dziwisz, die Notizen eigentlich verbrennen. Doch er hielt sich nicht an diesen letzten Wunsch Johannes Paul II.

Kontroverse um Reliquien. Kardinal Dziwisz hat neun Jahre nach dem Tod Johannes Pauls II. nicht nur mit der Veröffentlichung von dessen persönlichen Notizen, sondern auch mit der Verwaltung des zu Reliquien verarbeiteten Papstblutes sogar in Polen für Kontroversen gesorgt. So sind bereits Johannes Pauls Blutreliquien bei Internetauktionen aufgetaucht. Die Kirche verkaufe keine Reliquien, protestierte der Postulator der Heiligsprechung im Vatikan, der polnische Priester Slawomir Oder, im Gespräch mit dem polnischen Nachrichtenmagazin „Wprost“.

In etwa hundert Kirchen und Kapellen werden heute in Polen Reliquien ersten oder zweiten Grades verehrt. Die meisten haben einen Körperteil Johannes Paul II., Blut oder Haare, doch ein paar mussten sich mit bloßen Berührungsreliquien zufriedengeben, etwa einem getragenen Messgewand.

In Jasna Gora in Tschentschochau wird die blutbefleckte Schärpe verehrt, die Johannes Paul II. bei dem Attentat auf ihn 1981 getragen hat. „Wir beten weder zu Schärpen noch Zähnen“, protestieren jedoch in Internetforen immer häufiger polnische Katholiken.

So groß die Autorität von Johannes Paul II. in Polen auch sein mag, der Einfluss der Kirche nimmt seit dessen Tod im April 2005 beständig ab. Die in den Tagen der polnischen Massentrauer noch viel beschworene Generation JP2, junge Menschen, die ihr ganzes Leben zur Zeit seines Pontifikats verbrachten, ist schon fast vergessen. Zwar geben mehr als 90 Prozent der Polen noch heute an, Johannes Paul II. sei für sie eine wichtige moralische Autorität. Doch immer weniger gehen am Sonntag zur Messe. Nur das „Santo subito!“ hat sich gehalten – Johannes Paul ist für viele schon jetzt heilig.

Der polnischen Kirche hat geschadet, dass sie ihren Einfluss als Widerstandszentrum gegen den Kommunismus nach der Wende von 1989 mit Zähnen und Klauen gegen den neuen demokratischen Zeitgeist verteidigte. So wurden etwa erst kürzlich Abgeordnete, die für eine staatliche Bezuschussung von Invitro-Befruchtungen stimmten, vom Episkopat mit der Exkommunizierung bedroht. Erst dieses verbissene Festhalten hatte bei den letzten Parlamentswahlen Parteien wie der betont antikatholischen Palikot-Bewegung einen Stimmenanteil von zehn Prozent verschafft.

Spezialuhr auf Aussichtsturm. Das alles, so lautet die Hoffnungeiniger, soll durch die Heiligsprechung Johannes Paul II. am Barmherzigkeitssonntag eine Woche nach Ostern, wieder ins Lot gebracht werden. Eine Spezialuhr auf dem Aussichtsturm des Johannes-Paul-II.-Sanktuariums im südpolnischen Krakau zählt schon seit Mitte Februar die verbleibenden Stunden bis zur Heiligsprechung hinunter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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