Bei schönstem Bergwetter brach eine Lawine über eine Gruppe Sherpas herein. Mindestens zwölf Menschen starben. Es ist das bisher schlimmste Unglück am höchsten Berg der Welt.
Kathmandu. Sie bereiteten gerade die neue Klettersaison am Mount Everest vor, als sie von gewaltigen Schneemassen verschüttet wurden: Beim bisher schlimmsten Unglück am höchsten Berg der Welt sind am Freitag mindestens zwölf nepalesische Bergführer durch eine Lawine in rund 5700 Metern Höhe getötet worden. Rettungskräfte suchten in Eis und Schnee nach möglichen weiteren Verschütteten. Sieben Sherpas wurden nach Behördenangaben gerettet. Es gibt keine Hoffnung mehr auf Überlebende. Es ist ausgeschlossen, dass wir die vier vermissten Männer lebend finden", sagte am Samstag ein Vertreter des Tourismusministeriums in Kathmandu, Dipendra Paudel. Die Vermissten seien bereits über 24 Stunden im Schnee eingeschlossen. Die Rettungskräfte setzten ihre Suche fort.
Ein Vertreter der Rettungsorganisation Himalayan Rescue Association sagte, die Zahl der Toten könne auf 14 steigen. „Ich habe elf Leichen gesehen, die zum Basislager gebracht wurden und es dürfte noch drei weitere Tote geben“, meldete Lakpa Sherpa telefonisch vom Basislager des Everest in 5200 Metern Höhe.
Das Unglück geschah gegen 6.45 Uhr (Ortszeit) im sogenannten Popcornfeld, das auf der Route zum tückischen Khumbu-Eisfall liegt. Bei strahlendem Sonnenschein hatte sich die rein nepalesische Gruppe aufgemacht, um eine Route zum Gipfel des Everest zu präparieren – denn Ende April beginnt die Bergsteigersaison im Himalaja. Die Sherpas hatten Zelte, Seile und Lebensmittel dabei.
„Es gab keine Warnung“
Zwei der Opfer gehörten zur Agentur Himalaya Climbing Guides Nepal, wie deren Verantwortlicher Bhim Paudel sagte. „Als unsere Sherpas das Basislager verlassen haben, hat es nicht geschneit, das Wetter war außergewöhnlich gut“, sagte er. Vor dem Lawinenabgang hätten Dutzende Sherpas anderer Agenturen diesen gefährlichen Streckenabschnitt passiert. „Wir dachten, wir folgen ihnen, wir haben keine Warnung erhalten.“
Der Unfall unterstreicht die Gefahr, denen die einheimischen Bergführer ausgesetzt sind, wenn sie sich vor Saisonbeginn zur Reparatur von Leitern und zum Befestigen von Seilen auf die mächtigen Berge begeben. Der Everest ist mit 8848 Metern der höchste Berg der Welt. Jährlich versuchen hunderte Bergsteiger aus aller Welt den strapaziösen Aufstieg zum „Dach der Welt“. Seit der Erstbesteigung durch den Neuseeländer Sir Edmund Hillary (1919–2008) und Sherpa Tenzing Norgay (1914–86) anno 1953 kamen mehr als 300 Alpinisten auf dem Berg ums Leben.
Laut der US-Alpinistikexpertin Elizabeth Hawley ist das Unglück vom Freitag die schlimmste Katastrophe, die es bisher am Everest gab. 1996 waren acht Menschen in einem Sturm umgekommen; der US-Journalist und Bergsteiger Jon Krakauer schrieb darüber das Buch „In eisige Höhen“ („Into Thin Air“). Der schlimmste Bergsteigerunfall in ganz Nepal ereignete sich 1995, als in der Everest-Region 42 Menschen durch eine Lawine getötet wurden; im gleichen Jahr wurde auch ein Dorf in Nepal von einer Lawine überrollt: Mindestens 48 Menschen kamen um.
Prügelei im Bergsteigerlager
Für diesen Sommer haben die örtlichen Behörden 734 Personen eine Genehmigung für den Aufstieg auf den Everest ausgestellt, 400 davon sind Bergführer. Um den Andrang zu bewältigen und das Risiko zu verringern, beschlossen die Behörden, die Zahl der Seile an den Gletschern unterhalb des Gipfels zu verdoppeln. In den Basislagern sorgen seit Anfang April Soldaten und Polizisten für Ordnung; 2013 haben einander Sherpas und europäische Alpinisten eine Prügelei geliefert. (APA)
WISSEN
Der Mount Everest an der Grenze Nepal/China (8848 Meter) ist der höchste Berg der Welt. Er ist nach dem Landvermesser George Everest benannt, Nepalesen sagen Sagarmatha (Stirn des Himmels). Vom Erdmittelpunkt aus gemessen ist er aber nicht der höchste Punkt des Globus: Das ist der Chimborazo in Ecuador. Grund: Der Erdumfang am Äquator ist etwas größer, der Gipfel des Chimborazo liegt zwar nur 6267 m über dem Meer, aber 6384 km vom Erdzentrum entfernt, etwa 2000 m mehr als der Everest.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)