Zugunglück: Menschliches Versagen als Ursache?

Nach dem Zugunglück bei Bad Aibling sind die Rettungskräfte in intensivem Einsatz. Elf Tote wurden geborgen.
Nach dem Zugunglück bei Bad Aibling sind die Rettungskräfte in intensivem Einsatz. Elf Tote wurden geborgen.(c) APA/AFP/dpa/PETER KNEFFEL
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Mindestens zehn Todesopfer und mehr als 80 Verletzte forderte die Kollision zweier Züge bei Bad Aibling.

Berlin/Bad Aibling. Der Minister nahm sich viel Zeit. Längst hätte die Pressekonferenz zum Zugsunglück bei Bad Aibling beginnen sollen, doch Alexander Dobrindt war noch mitten am Ort des Geschehens. Und sichtlich erschüttert. Am Dienstagvormittag hat sich einer der schwersten Bahnunfälle der deutschen Geschichte ereignet: Zehn Tote, 18 Schwer- und mehr als 62 Leichtverletzte. Und der deutsche Verkehrsminister sprach an der Unglücksstelle mit Polizei, Rettungskräften, Helfern, um sich selbst ein Bild davon zu machen, worüber er wenig später vor der Presse Auskunft geben musste.

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„Der eine Zug hat sich in den anderen förmlich hineingebohrt und die Kabine des zweiten Zuges komplett auseinandergerissen“, erzählte Dobrindt dann. „Die Züge müssen mit sehr hoher Geschwindigkeit aufeinandergeprallt sein.“ Noch dazu lag die Stelle an der eingleisig geführten Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim, an der am Dienstag gegen 6.45 Uhr morgens die Züge kollidierten, genau in einer Kurve. Die beiden Lokführer, so meinte der Verkehrsminister, dürften also bis unmittelbar vor dem Unfall keinen Sichtkontakt gehabt haben.

Schwierige Bergungsarbeiten

Es ist eine enge Stelle, an der das Unglück passierte. Auf einem Hang, davor der Fluss Mangfall, rundherum Wald. Und so gestaltete sich die Bergung der Verunglückten entsprechend schwierig. An die 700 Rettungskräfte standen im Einsatz, schnitten Verletzte aus den Trümmern, mussten sie zum Teil mit dem Boot auf die andere Seite des Mangfall bringen. 15 Hubschrauber brachten sie dann in umliegende Krankenhäuser, die wegen des Unglücks geplante Operationen abgesagt hatten, um genug Kapazitäten für die Opfer zu haben.
Nicht nur aus den umliegenden Gemeinden wurden Helfer organisiert, auch aus Österreich kamen Teams zum Unglücksort, drei Hubschrauber vom ÖAMTC wurden geschickt.

Der Dank an die Helfer, viele von ihnen ehrenamtliche, war dann auch gleich die erste Botschaft nach dem Bekunden der Trauer mit den Angehörigen der Opfer. Gleich danach kam die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte. „Es ist klar, dass alles getan wird, um das restlos aufzuklären“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, „und gegebenenfalls die Konsequenzen zu ziehen.“

Über die Ursachen spekulieren wolle man nicht, sondern abwarten, was die Untersuchungen zutage bringen. Schon am Nachmittag waren zwei Blackboxen geborgen worden. Durch ihre Auswertung, so die Hoffnung, sollte geklärt werden, ob es ein technisches Problem gab oder ob es sich um menschliches Versagen handelte.

Angeblich "verhängnisvolle Fehlentscheidung"

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland, dem mehr als 30 Tageszeitungen angehören, berichtete am Dienstagabend unter Berufung auf Ermittlerkreise von einer "verhängnisvollen Fehlentscheidung" eines Bahnmitarbeiters. Er soll das automatische Signalsystem ausnahmsweise außer Kraft gesetzt haben, um einen verspäteten Triebwagen noch "quasi von Hand durchzuwinken". Der entgegenkommende Zug habe ebenfalls grünes Licht bekommen.

Unsicher, das stellte Minister Dobrindt fest, sei die Strecke nicht gewesen. Denn auf ihr sei die punktförmige Zugbeeinflussung PZB90 installiert gewesen. Ein System, das Züge automatisch abbremst, wenn sie Haltesignale überfahren und das bis zu einer Geschwindigkeit von 160 km/h eingesetzt wird. Die Höchstgeschwindigkeit auf dem betreffenden Abschnitt liegt bei 100 km/h.

Von Glück im Unglück sprachen einige der Helfer, weil der Unfall genau während der Faschingsferien passierte. Sonst wären im Zug noch unzählige Kinder auf dem Weg in die Schule gesessen. Zumindest ein positiver Aspekt in dieser Situation. Denn die Bilder am Unfallort waren für die Helfer eine große Belastung. Die Wucht des Unfalls ließ enorme Kräfte frei werden. „Mit solchen Verletzungen“, sagte ein Mediziner, „ist man auch als langjähriger Notarzt eher selten konfrontiert.“

Aschermittwoch abgesagt

Es war einer jener Tage, an denen auch der politische Streit zwischen den Parteien kurz verstummte. Und als ein Zeichen der Pietät sagte die CSU auch den traditionellen politischen Aschermittwoch ab – und alle anderen Parteien in Bayern taten es ihr gleich. Jene Veranstaltung also, bei der es darum geht, den politischen Gegner deftig und heftig zu attackieren. Einen Tag nach dem Unglück war das für viele unvorstellbar. (eko)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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