Implantat-Skandal: 300.000 Betroffene

(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
  • Drucken

In Österreich sind neun Frauen betroffen, weltweit könnten 300.000 defekte Implantate der französischen Firma PIP tragen. Das Unternehmen sperrte im Vorjahr zu, die Chefs sind untergetaucht.

Paris/Wien/R.b./Red. Der Skandal um gesundheitsgefährdende Brustimplantate einer französischen Firma zieht immer weitere Kreise: Weltweit könnten 300.000 Frauen betroffen sein, die mangelhafte Silikonkissen der Firma PIP (Pol Implant Prothese) eingesetzt bekommen haben. PIP, einst der weltweit drittgrößte Hersteller von Brustimplantaten, exportierte 80 Prozent seiner Billigprodukte ins Ausland.

Auf der Kundenliste des Herstellers fanden sich auch fünf Ärzte aus Österreich. „Es hat sich herausgestellt, dass vier davon die Implantate nie verwendet haben“, sagt Marcus Müllner von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Nur eine Ärztin aus der Steiermark habe die Silikonkissen bei acht Frauen eingesetzt. Bei drei Patientinnen wurden die Eingriffe schon wieder rückgängig gemacht, vermutlich aufgrund eines Warnschreibens der Ages im September 2010. Damals hatten die französischen Behörden erstmals vor dem mangelhaften Produkt gewarnt. Eine weitere Österreicherin hat sich ein PIP-Produkt im Ausland einsetzen lassen. Die betroffenen Patientinnen stehen unter ärztlicher Beobachtung.

Der Hersteller hatte anstatt des offiziell deklarierten Füll-Gels ein billiges Ersatzmaterial für Industriezwecke verwendet. So soll die Firma pro Jahr eine Million Euro gespart haben. Die „gepanschten“ Kissen sind aber weniger widerstandsfähig und platzen leicht. In Deutschland etwa sind 19 Fälle bekannt, in denen die PIP-Implantate im Körper rissen.

In Großbritannien wurden bei 40.000 bis 50.000 Frauen die anfälligen Silikonkissen eingesetzt. In Frankreich, wo etwa 30.000 Frauen betroffen sind, gingen bisher Beschwerden von 2000 Patientinnen ein. Es sollen auch Krebserkrankungen im Zusammenhang mit den defekten Kissen aufgetreten sein. Allerdings ist noch unklar, ob tatsächlich ein Zusammenhang besteht. Derzeit wird geprüft, ob allen betroffenen Frauen die Entfernung empfohlen werden soll.

Die französischen Behörden waren nach Patientinnenbeschwerden dem Betrug auf die Spur gekommen. Bei einer Inspektion durch drei Experten der Arzneimittelkontrolle „Afsapps“ im März 2010 flog der Schwindel schließlich auf. Der Verkauf der Silikonkissen wurde untersagt.

Staat musste Abfindung zahlen

Bereits im Frühling 2010 nahm die Polizei die ehemaligen Chefs der Firma im südfranzösischen Seyne-sur-Mer wegen des Verdachts auf Betrug bei der Warenqualität vorübergehend fest, seither aber sind sie untergetaucht. Die Justiz ermittelt wegen Verdachts der Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung. Im Juli 2010 wurde PIP dann trotz eines Übernahmeangebots eines amerikanischen Unternehmens zugesperrt. Auch die 116 Beschäftigten von PIP wurden im Vorjahr zu Opfern der Betrüger: Sie sind im Zuge der Firmenliquidierung entlassen worden. Als ihre Fabrik wegen Konkurses geschlossen wurde, drohten sie in ihrem Zorn damit, alles in Brand zu stecken. Schließlich musste der französische Staat für ihre Abfindungen in der Höhe von insgesamt 450.000 Euro aufkommen.

Hohe Folgekosten

Um ein Vielfaches höher dürften die Folgekosten für die betroffenen Frauen sowie für die Krankenversicherungen werden. In Frankreich übernimmt die öffentliche Krankenkasse bei Schönheitsoperationen nur die Explantation, nicht aber den Ersatz durch andere Silikonkissen. Der Skandal zeigt jedenfalls, dass strengere Auflagen bei der Qualitätskontrolle nötig sind.

Lexikon

Silikone sind künstlich erzeugte Stoffe, bei denen sich Silizium bzw. Siliziumverbindungen und Sauerstoff zu Molekülketten (Polymeren) verbinden; es entstehen flüssige, honig-, harz- oder gummiartige Massen. Silikone dienen etwa als Schmierstoff, Hydrauliköl, Dichtmasse oder zur Herstellung von Kunststoffobjekten wie faltbaren Backformen und Brustimplantaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Brustimplantate Kontrolle
Weltjournal

Defekte Implantate: "Will wissen, wer betrogen hat"

Der französische Gesundheitsminister will strengere Zulassungsverfahren von Medizinprodukten. Auch Männer könnten Opfer von defekten Implantaten sein.
Brustimplantate Versicherung Silikon
Weltjournal

Defekte Implantate: Versicherer Allianz will nicht haften

Zwei deutsche Firmen sind in den Skandal um geplatzte Silikonbrüste verwickelt. Die Versicherung hält allerdings den Vertrag für unwirksam. Das Silikon für die Füllung stammt von einem deutschen Großhändler.
Silikonimplantat
Welt

Silikon: Schon 20 Krebsfälle

Französische Billig-Brustimplantate: Die Zahl der Erkrankungen
ist größer als bisher angenommen.
Archivild: Ein plastischer Chrirurg bereitet die Entfernung von PIP-Implantaten vor.
Weltjournal

Brust-Implantate: US-Behörde warnte schon 2000

Schon vor zwölf Jahren hat die US-Gesundheitsbehörde jene französische Firma kritisiert, die nun wegen Billig-Brustimplantaten in den Schlagzeilen ist.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.