"Die Bewohner machen die Vorgaben"

Heurigenkultur in Döbling
Heurigenkultur in Döbling(c) Clemens Fabry
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Die Kulturinitiative Neustift-Salmannsdorf hat ein Leitbild für ihre Grätzel erarbeitet und überreicht dieses am Dienstag dem 19. Bezirk.

„Wissen Sie, wir sind Greise. Und Greise suchen sich gern ein Hobby“, sagt Erich Bramhas. Der Architekt lebt seit 1965 in Salmannsdorf und macht sich deshalb viele Gedanken über das Grätzel, genau genommen zwei Grätzel: Neustift am Walde und Salmannsdorf. Das Ortsbild, der Verkehr und die schwindende Bedeutung der Heurigenkultur in diesen Teilen des 19. Bezirks machen ihm Sorgen. Deshalb hat er sich gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten zu der Kulturinitiative Neustift-Salmannsdorf zusammengeschlossen. „Wir sind keine Bürgerinitiative, wir haben kein Büro, kein Budget und keine Hierarchie. Wir sind ein paar Intellektuelle, die wie Schmetterlinge herumfliegen und ihre Ideen zusammentragen.“

Was die Initiative ebenfalls von anderen Bürgerinitiativen unterscheidet, ist, dass sich die Gruppe nicht für oder gegen eine einzelne Sache starkmacht. Die Kulturinitiative Neustift-Salmannsdorf macht sich vielmehr generell Gedanken über ihren Ortsteil und hat deshalb in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren ein Leitbild für Neustift-Salmannsdorf entwickelt. Am Dienstag soll die etwa 50 Seite fassende Broschüre an den Bezirk, an das Büro der Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, sowie an Medien übergeben werden. Geht es nach der Kulturinitiative, soll der Bezirk das Leitbild danach an die Bewohner schicken und diese darüber abstimmen lassen, ob sie dem Leitbild zustimmen. Bei einer Zustimmung würde sich Bramhas wünschen, wenn der Bezirk sich in Zukunft daran hielte.

Im Vorfeld des Leitbilds hat die Initiative zu regelmäßigen Diskussionsabenden mit Experten – etwa dem Verkehrsexperten Helmut Hiess – zum Heurigen geladen und die einzelnen Problempunkte erarbeitet. „Bei jeder Diskussionsrunde gab es ein Protokoll und am Ende immer den Ergebnisabschnitt. Es wurde gleich am Anfang, dass es das Ziel ist, ein Leitbild zu erstellen.“


Weniger ist mehr. „Ich kenne die Gegend, das ist ein Vorteil, den die Stadtplaner nicht haben“, sagt Bramhas, während er durch die Rathstraße führt. Gleich am Anfang der Straße, wo nach einem Kreisverkehr die Krottenbachstraße in die Rathstraße mündet, hat er schon den ersten Kritikpunkt ausgemacht: eine Baustelle, die ebenfalls zur erheblichen Verkehrsbelastung beiträgt. Das Haus selbst, ein moderner Bau mit viel Glas, störe ihn als Architekt weniger. „Die Leute regen sich über diesen ,modernen Klotz‘ auf. Aber das ist 1950er-Jahre-Architektur, das ist nicht neu.“ Für gelungen hält er den Bau dennoch nicht, stellt er klar und hält auch gleich sein mitgebrachtes Schild in die Höhe. „Weniger ist mehr“, steht darauf geschrieben. Geht es nach der Initiative, soll das hier Motto werden. Sprich weniger Verkehr, weniger Grau, weniger Touristen, die mit Bussen in Heurigen gekarrt werden, die laut Bramhas nichts mit der Heurigenkultur gemein haben. Dafür ein Mehr an verträglicher Architektur, Ruhe, Platz für Kinder und Familien – und allen voran ein Mehr an Mitspracherecht für die Bewohner. Das wird in dem einfach – um nicht zu sagen salopp – formulierten Leitbild recht eindringlich gefordert: „Die Bewohner machen die Vorgaben“, steht hier geschrieben. Bramhas hat dafür einen Zellkern, wie er es nennt, vorgesehen, der unter anderem aus der Pfarre, der Volksschule, dem Weinbauverein, dem Altenheim und der Kulturinitiative Neustift-Salmannsdorf bestehen soll. Dieser Zellkern soll sich zusammensetzen und grobe Vorgaben als Empfehlungen festlegen. „Denn als Gesetzestext kann man es ja nicht machen“, sagt er.

Wobei schon jetzt mehr oder weniger konkrete Ideen vorherrschen. Bramhas ist bewusst, dass man bestehende Häuser schwer ändern kann. Aber in Zukunft soll verstärkt auf „verträgliche Architektur“ geachtet werden. Dafür sollen die Bestimmungen der bereits bestehenden Schutzzone strenger geregelt werden. „Sie umfasst etwas zu viel und lässt zu viele Ausnahmen zu. Die Leute bringen das schon mit Korruption in Verbindung.“ Wobei sich Bramhas durchaus für einen Mix aus Alt und Neu erwärmen kann, aber passen muss es eben. Weniger Grau und freundliche Fassaden sind Schlagwörter, die er bei dem Rundgang öfter fallen lässt. Manchmal sind es aber nur kleine Dinge, die in seinen Augen das Ortsbild verschönern würden. „Es wird gejammert, dass das Ortsbild kaputt ist, aber die Heurigen sind nicht einmal imstande, Blumen im Vorgarten zu setzen.“


Begegnungszone. Beim Thema Verkehr will die Initiative den Durchzugsverkehr stoppen und den Lokalverkehr minimieren. In den nächsten zehn Jahren – auf diesen Zeitraum ist das Leitbild ausgerichtet – sollen täglich nur noch 2000 statt 14.000 Autos die Durchfahrtroute entlang der Rathstraße fahren. Eine Begegnungszone wird hier ebenso genannt wie ein neues Konzept für die Buslinie 35A, das zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel animieren soll. „Wir wollen eine autoarme Zone für alle wienerwaldnahen Vororte.“

Bleibt nur noch die Frage nach der Wiederbelebung der Heurigenkultur. „Es geht um die Bedeutung der Heurigen und darum, dass wir die Kleinen stärken.“ So würde er sich freuen, wenn die Jungen nicht mehr in die Innenstadt fahren, um sich zu treffen, sondern lieber im Ort bleiben. Oder aber, dass die umliegenden Institute der Boku und TU ebenfalls die Heurigen als Treffpunkt für Meetings oder Veranstaltungen nutzen.

Die Bezirksvorstehung kann der Initiative durchaus etwas abgewinnen. Der stellvertretende Bezirksvorsteher, Hannes Trinkl (ÖVP), meint dazu: „Uns ist das sehr recht, wir sehen das positiv. Wir haben das Leitbild noch nicht erhalten, aber wir werden das sicher diskutieren. Das kann uns nur helfen.“

Döbling

Neustift am Waldeist ebenso wie Salmannsdorf. ein Stadtteil des 19. Wiener Bezirks. Die Gegend ist für die Heurigenkultur bekannt und grenzt an den Wienerwald.

Kulturinitiative
Die Kulturinitiative Neustift-Salmannsdorf hat in den letzten eineinhalb Jahren regelmäßig zu Diskussionsabenden geladen und nun ein Leitbild für die beiden Stadtteile entwickelt. Darin geht es vor allem um die Erhaltung des Ortsbildes und der Heurigenkultur sowie um eine Eindämmung des Verkehrs. Das Leitbild wird kommenden Dienstag an die Bezirksvorstehung, Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou sowie an Medien übergeben.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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