Bei Syriens Christenbrigade

Sunnitische Rebellen gegen Alawiten und Christen: So scheinen im syrischen Bürgerkrieg die Fronten zu verlaufen. Dochaufseiten der Aufständischen kämpfen auch Christen. Eine Reportage.

Mohammed steigt aufs Gaspedal, als ginge es auf die Autobahn und nicht über eine rumpelige Landstraße. „Ich kenne die Strecke in- und auswendig“, versichert der 29-Jährige und umkurvt mit seinem kleinen, gelben Taxi ein großes Schlagloch. Er fährt die fast 200 Kilometer lange Strecke vom syrisch-türkischen Grenzübergang Bab el-Hauwa in die Provinz von Hama mehrmals täglich. Mohammed ist Kurier der Farukbrigaden, deren Wappen auf beiden Seitentüren des Wagens prangt. Die Kalaschnikow mit gekreuzten Säbeln und dem Namensschriftzug garantiert ein Stück Sicherheit. Faruk zählt mit 15.000 Mann zu einer der bedeutendsten Rebellengruppen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA). Ohne Schutz sollte man in dieser Region nicht unterwegs sein. Journalisten und Mitglieder von Hilfsorganisationen wurden auf dem Weg ins Landesinnere gekidnappt. Ein Teil von ihnen ist bis heute spurlos verschwunden.

Der Weg führt in bergiges Gelände, Kinder winken in Dörfern, Schafe und Kühe laufen auf die Straße. „Alles befreites Gebiet“, ruft Mohammed euphorisch und unterschlägt dabei, dass es gerade nur ein schmaler Streifen ist. Er führt direkt an der Frontlinie und an Stellungen der syrischen Armee vorbei, die nur wenige hundert Meter von der Straße entfernt sind. „Keine Angst, sie schießen nur nachts, wenn sie Bewegungen der FSA vermuten“, sagt der Mohammed mit einem Gesichtsausdruck, der Vertrauen wecken soll.

Überfüllt mit Flüchtlingen. Nach gut zweieinhalb Stunden wird Kalaat al-Madiq erreicht. Besser bekannt ist die Kleinstadt unter dem Namen Apamea, der einst legendären Hauptstadt der römischen Provinz Syrien. Davon steht heute nur mehr ein zwei Kilometer langer Säulengang. Vom Besuch der Ruinen, die im Bürgerkrieg beschädigt wurden, ist abzuraten. Sie liegen im Schussfeld der syrischen Armee.

Kalaat al-Madiq war früher eine beschauliche Kleinstadt mit 25.000 Einwohnern. Jetzt aber, mit 75.000 Flüchtlingen aus der gesamten Region, platzt sie aus allen Nähten. Familien wohnen in Schulen, ehemaligen Lagerhallen und Bürogebäuden. Der Ort liegt auf der Ostseite der al-Ghab-Ebene, die mit 63 Kilometer Länge und 15Kilometern Breite die Kornkammer Syriens ist. So weit das Auge reicht tiefgrüne Felder mit jungen Getreidehalmen. Dazwischen Gemüsebeete, Obstbäume und Teiche, in denen Fische gezüchtet werden. Die Wasseroberfläche glitzert in der Frühlingssonne.

So schön die ländliche Idylle auch sein mag, sie ist trügerisch. Wir befinden uns in der letzten Bastion der FSA in Zentralsyrien. Unmittelbar am Ortsende beginnt das Territorium des Regimes. Jede Nacht kann man Schüsse hören. Die syrische Armee kontrolliert von hier aus die Hauptstraße ins nur 55Kilometer entfernte Hama. Es ist eine strategisch wichtige Verbindung, die weiter über Homs nach Damaskus führt. Ohne die Nachschublieferungen auf dieser Route könnte das Regime auf Dauer nicht überleben.

In Kalaat al-Madiq sind die Regimesoldaten mitten in der Stadt in einer Zitadelle verschanzt. Sie liegt hoch oben auf einem Hügel, von dem aus man die ganze Ebene überblickt. Die aus dem 12.Jahrhundert stammende Burg ist ein perfekter Beobachtungsposten und Standort für Artillerie und Scharfschützen. Obwohl der Ort seit zehn Monaten in der Hand der Rebellen ist, lebt die Bevölkerung buchstäblich weiter im Schatten des Regimes. Beim Einkaufen, Tanken, auf dem Weg ins Café oder in die Moschee, irgendwann kommt jeder Bewohner ins Fadenkreuz der syrischen Armee.

„Sie schießen nicht mehr, seit wir den Soldaten gezeigt haben, wie ungemütlich es werden kann“, sagt Abdelaziz Nasrallah, der mit 32 Jahren überraschend junge Kommandant der Farukbrigade. Nasrallah lässt sich Tee bringen, nippt am heißen Glas und erzählt weiter. Einer der Regimescharfschützen habe einen Zivilisten im fahrenden Auto erschossen. Daraufhin sei die Zitadelle sechs Wochen lang vom Nachschub abgeschnitten worden. „Sie mussten dort oben Gras fressen“, hält Nasrallah mit einer nicht zu übersehenden Schadenfreude fest.

Angriff auf Konvois. Leider sei das heute keine wirksame Methode, die syrische Armee aus der Burg zu vertreiben. „Sie würden die Stadt unter Artilleriefeuer nehmen“, meint der Kommandeur nachdenklich. „Mit so vielen tausenden Flüchtlingen können wir das nicht riskieren.“ Die Lage sei jetzt ruhig und das wolle man beibehalten. „Außerhalb des Ortes ist das natürlich völlig anders“, meint Nasrallah. „Wir greifen Checkpoints und Konvois an.“ 500 Rebellen sind Tag und Nacht an den Frontlinien im Einsatz.

Draußen ist es mittlerweile dunkel geworden. Auf der gegenüberliegenden Seite der Ebene brennen Lichter. Dort erhebt sich das bis zu 1200 Meter hohe Küstengebirge. Im Volksmund heißt es Jebel al-Alauwia, das Gebirge der Alawiten. Über 400.000 Gläubige dieser Richtung des Islams, der auch die Präsidentenfamilie al-Assad angehört, leben in der al-Ghab-Ebene und an den Gebirgsausläufern. Hinter dem Jebel al-Alauwia liegt die Mittelmeerküste Syriens – mit den Hafenstädten Lattakia, Baniyas und dem wichtigen Tartous, in dem Russland seine einzige Marinebasis am Mittelmeer unterhält.

Diese Küstenregion wird überwiegend von Alawiten bewohnt und gilt als Machtzentrum der Diktatur. Ein Gebiet, auf dem möglicherweise ein alawitischer Staat gegründet wird, sobald das Assad-Regime zusammenbricht. Aus der Region um Baniyas kamen Anfang Mai Meldungen von verheerenden Massakern. Videos im Internet zeigen Leichen von Bewohnern zweier sunnitischer Dörfer, die auf offener Straße hingemetzelt worden waren. Mitglieder der syrischen Opposition sprachen von „Säuberungen“, die das Ziel haben, die Region von Sunniten freizumachen.

„Wir wollen den Alawiten nicht die Hälse abschneiden“, sagt Farukkommandeur Nasrallah entschieden. Man habe mit ihnen seit Jahrhunderten zusammengelebt und wolle das weiterhin, auch nach dem Ende der Diktatur Assads. Nur wer Blut an den Händen habe, müsse sich verantworten. „Vor Gericht“, fügt Nasrallah hinzu. „Wir wollen keine Rache, sondern eine Zukunft, die auf Recht und Gesetz basiert.“ Das sind moderate Töne im Vergleich zu anderen Rebellengebieten, in denen offen von „Buße, Strafe“ und immer wieder von „Rache“ gesprochen wird: Rache nehmen an der Herrscherklasse der Alawiten.

Wilde Ausgrabungen. Am nächsten Tag vor dem Freitagsgebet bestätigt der sunnitische Imam ein gutes Einvernehmen mit den Alawiten. „Ich telefoniere täglich mit ihren Geistlichen auf der Regierungsseite“, erzählt Scheich Abelhakim. „Wir teilen Informationen, organisieren den Austausch von Gefangenen oder den Handel mit Lebensmitteln.“ Seine alawitischen Kollegen würden sogar Listen von Mitgliedern der gefürchteten Schabiha führen. Diese Regierungsmilizen sollen für zahlreiche Massaker, wie zuletzt in Banyias, verantwortlich sein. „Wer mordet oder andere Verbrechen begeht“, so Abdelhakim, „wird abgeurteilt“. Das gelte auch für Rebellen. Zehn säßen im hiesigen Gefängnis. „Sie haben geplündert und da kennen wir kein Pardon.“

Gegen die wilden Ausgrabungen antiker Schätze in der Stadt wird allerdings nichts getan. Da könne man leider nichts machen, sagt der 35-jährige Geistliche. „Die Leute wissen nicht, wie sie sonst überleben sollten.“ Tag für Tag graben zwischen zehn und 15 Trupps, jeweils zu dritt oder zu viert, auf einem Friedhofshügel nach wertvollen Grabbeigaben. Über 20.000 Gräber unterschiedlicher antiker Epochen sollen sich auf dem Hügel befinden, den tiefe Furchen durchziehen. Münzen mit christlichen Emblemen, dem Konterfei Alexanders des Großen, Tonstempel und Statuetten werden angeboten. Die Antiquitäten sind zum Spottpreis zu haben. Eine Handvoll antiker Münzen kann man schon für 20 oder 30 Euro erwerben.

„Jetzt haben wir gar keine Zeit mehr, um über die Christen zu sprechen“, merkt Scheich Abdelhakim mit bedauerndem Tonfall an. Er muss gleich in die Moschee. Die Christen machen zehn Prozent der knapp 23 Millionen starken syrischen Bevölkerung aus und saßen in verantwortlichen Positionen im Verwaltungsapparat. „In unserer Gegend liegen einige christliche Dörfer“, fügt der Geistliche an. „Aber über dieses Thema sollten Sie sich am besten mit dem Kommandanten der christlichen Brigade unterhalten.“

Kämpfer des „Heiligen Georg“. Amjad lacht laut, als er als etwas Besonderes bezeichnet wird. „Ich weiß, es heißt, Christen stehen auf der Seite von Präsident Assad. Aber das stimmt nicht.“ Viele würden einfach abwarten, ohne Partei zu ergreifen. Andere hätten kaum eine Wahl, da Christen meist auf Regierungsgebiet wohnten. „Da bleiben nicht viele Möglichkeiten, wenn man überwacht wird.“ Auch Amjads Dorf und die Dörfer seiner christlichen Kämpfer sind von Regimetruppen besetzt. Trotzdem haben sie den Schritt gewagt und kämpfen seit drei Monaten gegen Assad. „Die Familien wissen nicht, dass ihre Söhne, Brüder und Cousins bei den Rebellen sind.“ Die St. Georg Brigade „umfasst gut 100 Mann“, wie er sagt, und ist, ob es ihrem Kommandeur passt oder nicht, tatsächlich etwas Außergewöhnliches. In ganz Syrien gibt es Berichte von nur zwei weiteren christlichen Brigaden.

„100 Mann sind nicht viel“, gibt Amjad zu. Nach drei Monaten sei seine Truppe noch im Aufbau begriffen. Was ihm und auch den meisten Rebellengruppen fehlt, die zum obersten Militärrat der FSA unter der Leitung von Salim Idris gehören, sind Waffen. „Der Westen will, dass wir ein Gegengewicht zu den Islamisten bilden, aber liefert dafür keine Waffen“, sagt Amjad etwas verärgert. „Geben Sie mir ausreichend Waffen und Munition, binnen kürzester Zeit hat meine Brigade mehrere hundert Mann und ist die entscheidende Kraft in unserer Region.“

20Prozent von Amjads Männern sind Muslime. „Wir haben keine Berührungsängste“, betont der Kommandant, dem man ansieht, dass er vor der Revolution Bodybuilding machte. „Wir führen einen gemeinsamen Kampf.“ Angst vor radikalen Islamisten, wie etwa Jabhat al-Nusra, dem al-Qaida-Ableger aus dem Irak, hat Amjad nicht. „Sie werden am Ende des Bürgerkriegs kein Problem darstellen.“ Das syrische Volk kämpfe heute für Demokratie und Freiheit, die man den Menschen Jahrzehnte lang vorenthalten habe. „Ich kenne niemand, der einen islamistischen Gottesstaat will, in dem es keine Toleranz, nur neue Verbote gibt.“

Amjad erinnert sich, wie er einmal auf dem Weg nach Aleppo in eine Straßensperre von Jabhat al-Nusra geriet. „Sie wollten mich zum Islam bekehren, aber ich sagte ihnen: Ich bin Syrer und das sollte genügen.“ Auf dem Lande, wo jeder jeden kennt, führt der christliche Kommandant weiter aus, sei alles ganz anders als in den Städten. In das Hauptquartier seiner Brigade schauten oft Mitglieder von Ahrar al-Scham, einer extremen Salafistengruppe, zum Tee vorbei. „Ihre Leute stammen aus der Region und nicht aus dem Ausland. Bei uns sind Ahrar al-Scham ideologisch nicht so verbohrt und haben keine Animositäten gegenüber Christen.“

In einer Garage liegt die lokale Bombenwerkstatt von Ahrar al-Scham. Hier produzieren Ahmed und Hassan seit knapp einem Jahr Raketen, Mörser und Anti-Panzer-Sprengsätze. Die beiden Männer tragen kein Dschihadisten-Outfit, wie es im Norden Syriens sonst en vogue ist. Es fehlen die schwarzen, weiten Hosen, die langen Hemden weit über die Hüften, auch der Kajal an den Augenlidern, wie es einst Prophet Mohammed praktiziert haben soll. „Wir haben mittlerweile über 600 Raketen produziert“, resümiert Hassan, der – untypisch für einen Islamisten – keinen Vollbart trägt. Neustes Produkt, von dem ein Prototyp auf der Fräsmaschine steht, ist ein Mörser. „Nach einem Original der syrischen Armee gefertigt. Allerdings größer und schlagkräftiger“, erläutert Ahmed. „Das wird ihnen einheizen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)

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