Polen: Duda greift nach dem Präsidentenamt

Andrzej Duda is seen on television screens at a shopping mall in Warsaw
Andrzej Duda is seen on television screens at a shopping mall in Warsaw(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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Bei der Stichwahl am Sonntag zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Präsident Komorowski schnitt in Umfragen zuletzt überraschend schlecht ab. Kaczyńskis Oppositionskandidat Duda könnte die Machtübernahme schaffen.

Podgorz. Die Bushaltestelle ist neu, doch der Fahrplan schon wieder abgerissen. Die beiden Dorfläden sind längst geschlossen. Ein paar Bauernkaten säumen die Hauptstraße. In den Weichselauen wird Hopfen angebaut, viele haben auch kleine Apfelplantagen. Zur Messe, erzählen die Einwohner von Podgorz, müsse man nun ins Nachbardorf. Sie dauert von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends. Doch statt des Messweins wird unter freiem Himmel das lokale Bier Perla getrunken.

Noch sind im Nachbardorf an vielen Häusern die Flutschäden von 2010 zu sehen. Damals war die Gemeinde Wilkow das erste und bisher letzte Mal in Polens Schlagzeilen. Denn die hiesige Armut passt nicht zum Postkartenbild des rezessionsgefeiten Tigerstaates an der Weichsel, das die regierende Bürgerplattform (PO) für sich gepachtet hat. Die hiesige Wojwodschaft Lubelskie, eines der ärmsten Gebiete der EU, gehört dafür schon seit Jahren zu den Stammlanden der rechtsnationalen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Vor zwei Wochen haben hier mehr als doppelt so viele Bürger bei der ersten Runde der Präsidentenwahlen für den Oppositionskandidaten Andrzej Duda (PiS) gestimmt als für den rechtsliberalen, dem Regierungslager nahestehenden Amtsinhaber Bronislaw Komorowski. In manchen Dörfern kam dieser gar nur auf den dritten Platz – noch hinter dem rechtspopulistischen Rockmusiker Pawel Kukiz (landesweit 21 Prozent). Vor der Stichwahl vom Sonntag lautet die Gretchenfrage in Polen nun, wie sich Kukiz' Wähler verhalten werden. Ihr Idol hat bisher nur gesagt, dass er nie im Leben für Komorowski stimmen würde. Gleichzeitig kritisiert Kukiz in Interviews Duda, der ebenso zum System gehöre wie Komorowski. Viele in Podgorz haben sich ihre Meinung schon gebildet. Die Hausfrau Ela erzählt von einem Komorowski-Besuch auf einem nahen Weingut. Zwei Tage lang hätten Sicherheitsdienste das Dorf durchkämmt, dann sei der amtierende Präsident mit seiner schwarzen Wagenkolonne für zwei Stunden eingefahren. „Mit uns Einheimischen hat er gar nicht gesprochen“, erzählt Ela. Der Bauer Stasiu fürchtet, dass der Staatswald verkauft würde, wenn Komorowski für eine weitere Amtszeit bestätigt werde. „Dazu übernehmen Ausländer dann auch alle unsere Felder“, malt er den Teufel an die Wand.

An vielen Häusern ist ein Duda-Banner angebracht, auch die Orientierungstafeln der Gemeinden tun oft so, als gäbe es nur den lachenden Kandidaten mit dem freundlichen Botox-Gesicht neben dem Parteilogo PiS. „Duda ist jung, energiegeladen und hat den Kontakt mit der Realität nicht verloren“, wirbt in der Lokalzeitung „Wspolnota Opolska“ der Student Pawel Matras. Und: „Als neuer Staatspräsident wird Duda alles unternehmen, damit junge Polen nicht auswandern müssen.“

Weichspüler punktet mit Sozialthemen

Emigration, Arbeitslosigkeit, Renten- und Gesundheitssystem gehören zu den großen Themen Dudas. Die traditionellen Slogans seines Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczyński – Patriotismus, Kritik an Deutschland, Russland und der EU sowie das angebliche Attentat auf die Präsidentenmaschine bei Smolensk im April 2010 – meidet Duda. Dem hat Amtsträger Komorowski außer Berechnungen, wie viel Dudas Versprechen den Staatshaushalt kosten würden, wenig entgegenzusetzen. Auch Komorowskis Mantra, er sei der erfahrene Landesvater für gefährliche Zeiten mit Putin, zog bisher nicht.

Nach der überraschenden Niederlage Komorowskis in der ersten Runde rollten zwar Köpfe im Wahlstab. Der Präsident übernahm wenig überzeugend ein paar Kernforderungen des Rockmusikers Kukiz ins schleunigst modifizierte eigene Wahlprogramm, nahm erstmals an einer Fernsehdebatte mit Duda teil und schnitt dabei besser ab, als von vielen befürchtet. Doch richtig zu überzeugen vermochte Komorowski nicht. Die meisten Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Das Meinungsforschungsinstitut Milward Brown gibt Komorowski zwei Prozentpunkte Vorsprung vor Duda (45 Prozent).

Jeder zwölfte Pole hat sich demnach noch nicht entschieden. Bei der regierenden Bürgerplattform hofft man auf eine Mobilisierung der Komorowski-Fans an der deutschen Grenze. Dort gewann er bereits in der ersten Runde, doch die Wahlbeteiligung war miserabel. Die PiS wiederum erhofft sich von einem Wahlsieg Dudas eine günstige Stimmung für die Parlamentswahlen im Herbst. 2007 wurde Kaczyński bei vorgezogenen Neuwahlen überraschend abgewählt. Diese Schmach soll der weichgespülte rechtsnationale Kandidat Duda nun rächen.

AUF EINEN BLICK

Am Sonntag findet die Stichwahl um das polnische Präsidentenamt statt. Der nationalkonservative Herausforderer Andrzej Duda liegt laut Umfragen knapp in Führung vor dem Amtsinhaber Bronislaw Komorowski. Die Präsidentschaftswahl gilt als wichtiges Signal für die Parlamentswahlen im Herbst. Duda, der Kandidat der nationalkonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) lag im ersten Wahlgang überraschend vor Komorowski, verfehlte aber eine absolute Mehrheit. Komorowski wird von der regierenden liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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