Stillstand in der südosteuropäischen Warteschleife der EU

WESTBALKAN-KONFERENZ: UNTERZEICHNUNG GRENZVERTRAG ZWISCHEN BOSNIEN-HERZEGOWINA UND MONTENEGRO: VUJANOVIC / COVIC / KONJEVIC / CRNADAK
WESTBALKAN-KONFERENZ: UNTERZEICHNUNG GRENZVERTRAG ZWISCHEN BOSNIEN-HERZEGOWINA UND MONTENEGRO: VUJANOVIC / COVIC / KONJEVIC / CRNADAK(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Der Westbalkan-Gipfel in Wien soll die Beitrittskandidaten im Südosten Europas näher an die EU führen. Doch ein Jahr nach der Berliner Premiere fällt die Bilanz eher bescheiden aus.

Belgrad. Die Teilnehmer des Westbalkan-Gipfels in Wien erhoffen sich neue Impulse, um das ermattete Kandidatenfeld in der Dauerwarteschleife näher an die EU zu führen. Tatsächlich können sich die südosteuropäischen Staatenlenker zwar warmer Ermutigungsworte und neuer EU-Millionen für grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte sicher ein. Doch ein Jahr nach der Berliner Konferenz-Premiere fällt die Bilanz der bisherigen Anstrengungen eher bescheiden aus: Wirtschaftlich und politisch tritt die krisengeschüttelte Region weitgehend auf der Stelle.

Westbalkan ist der eher politische EU-Begriff für Albanien und fünf frühere Staaten Jugoslawiens, denen der mühselige Beitrittsmarathon noch bevorsteht. Aus der Konkursmasse des zerfallenen Vielvölkerstaats haben bisher nur Slowenien (2004) und Kroatien (2013) den EU-Beitritt geschafft. Zwar hat das kleine Montenegro bereits 18 der 35 Verhandlungskapitel eröffnet. Doch selbst wenn auch Serbien, wie erwartet, bis Jahresende die ersten Verhandlungskapitel eröffnen kann, scheint mit einer erneuten EU-Erweiterung in den nächsten fünf Jahren kaum zu rechnen zu sein. Ob Albanien oder der noch nicht einmal assoziierte Kosovo, ob der sich selbst blockierende Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina oder der von Griechenland blockierte Beitrittskandidat Mazedonien: Nicht nur der Lebensstandard der Anwärter ist von Europas kriselndem Wohlstandsbündnis noch weit entfernt.

Die von Brüssel eingeforderten Justiz- und Wirtschaftsreformen werden kaum oder nur schleppend umgesetzt. Trotz des Pochens Brüssels auf einen verstärkten Dialog sind die früheren Kriegsgegner in Ex-Jugoslawien vom Versöhnungsvollzug noch weit entfernt. Die kroatisch-serbischen Beziehungen sind 20 Jahre nach dem Krieg auf einen neuen Tiefpunkt gesackt.

In Bosniens Vielvölkerlabyrinth gelten die Beziehungen zwischen den Volksgruppen als ebenso labil wie in dem autoritär geführten Mazedonien. Selbst die EU-Mitglieder Kroatien und Slowenien verzetteln sich im kleinlichen und unsinnigen Seegrenzen-Streit. Ob Serbien, Montenegro oder Kosovo: Der Dauerwahlkampf scheint vielen der populistischen Würdenträger mehr zu behagen als nachhaltiges Regieren. Der angekündigte Kampf gegen die Korruption und für den Rechtsstaat wird selten umgesetzt; dafür werden die Presse, die Justiz und lästige Kontrollinstitutionen gelenkt – und nach Kräften geknebelt. Nicht die gegängelten Institutionen, sondern ausschließlich die Regierungsparteien haben das Sagen.

Seit 2008 verharrt Region in der Krise

Wortgewaltige Wendehälse und geschäftstüchtige Strippenzieher bestimmen das triste Bild. Die Verheißung des nahenden Beitritts ins vermeintliche EU-Paradies dient den Würdenträgern zwar gern als Ausrede fürs irdische Jammertal. Doch Begeisterung kommt beim ermatteten Publikum nur noch selten auf. Denn statt der verkündeten Annäherung an die EU ist in deren ausgelaugtem Wartesaal im Alltag allenfalls Stillstand zu verspüren.

Seit 2008 verharrt die ganze Region in der Dauerkrise. Bis auf Serbien weisen die Westbalkan-Staaten seit 2013 zwar wieder Zuwachsraten zwischen 1,5 und 3,5 Prozent auf. Doch das Wachstum ist immer noch zu schwach, um die erlittenen Verluste zu kompensieren oder gar den Entwicklungsrückstand zu den EU-Partnern zu verkleinern. Wie schwer das fällt, zeigt das Beispiel Serbien. Mit einer Reduzierung der Staatsausgaben und effektiverer Steuereintreibung hofft Belgrad, das zeitweise völlig aus dem Ruder gelaufene Haushaltsdefizit bis zum Jahresende auf 3,5 Prozent zu drücken. Doch wegen der Kürzung bei den Staatsinvestitionen in die Infrastruktur und dem sehr schwachen Zufluss ausländischer Investitionen lässt ein spürbarer Aufschwung noch immer auf sich warten.

Die Wirtschaft stagniert, nur die Zahl der Arbeitslosen und Auswanderer schnellt nach oben. Die pflichtschuldigen EU-Ermunterungen vermögen kaum mehr Trost zu spenden. Für viele der ernüchterten Bewohner der Rückstandsregion hat die von Brüssel gepredigte Dauerbotschaft einer fernen Beitrittsperspektiven ihre Funktion als Lock-Mohrrübe und Beruhigungspille längst verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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