Demirtaş: "Erdoğan hat keine Friedenspläne"

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Der Chef der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtaş, hat in Wien Bundespräsident Heinz Fischer getroffen. Das föderale System Österreichs würde er gern auch in der Türkei umsetzen.

Wien. Selahattin Demirtaş, Ko-Chef der prokurdisch-türkischen Partei HDP, kam aus Stockholm nach Wien, nur um anschließend nach Brüssel weiterzureisen. Während der kleinen Europa-Tournee wolle er auf die Lage im Südosten der Türkei sowie auf die unmittelbare Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) aufmerksam machen, so Demirtaş am Donnerstag in Wien. Einen Tag zuvor traf er Bundespräsident Heinz Fischer zu einem „positiven Austausch“. Demirtaş erhofft sich von Ländern wie Österreich Hilfe beim Umgang mit zwei Millionen hauptsächlich syrischen Flüchtlingen in der Türkei, aber auch diplomatische Schritte bei der Lösung der Syrien-Krise.

In Wien bestätigte der Oppositionspolitiker auch, dass in der türkischen Übergangsregierung drei HDP-Minister werden mitregieren sollen. Die Regierungsverantwortung könnte durchaus richtungsweisend für die Neuwahlen sein, die nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen der regierenden AKP ausgerufen wurden.

Die Presse: Kürzlich wurde der Termin, der 1.November, für die Neuwahlen in der Türkei fixiert. Was kommt auf Sie zu?

Selahattin Demirtaş:Es ist eine Wiederholung einer Wahl, die vor Kurzem stattgefunden hat. Die Neuwahl ist sehr unnötig.

Warum unnötig?

Im Juni hat sich die Türkei bei einer Wahl bereits entschieden. Anschließend hätte eine Koalitionsregierung gebildet werden sollen. Aber uns war damals schon klar, dass der Präsident (Recep Tayyip Erdoğan, Anm.) keine Koalition haben möchte. Da nun ein einziger Mensch in der Türkei eine Neuwahl haben möchte, müssen 80Millionen wieder an die Urnen.

Was können wir erwarten, wenn die HDP bei den Neuwahlen die Zehn-Prozent-Hürde nicht übersteigt und somit auch den Eintritt ins Parlament nicht schafft?

Dass wir mit den zehn Prozent keinerlei Probleme haben, konnten wir bei den jüngsten Wahlen zeigen. Wir sind eine Partei, die mit jedem Tag wächst.

Glauben Sie nicht, dass die fragile Situation im Südosten der Türkei sowie der aufflammende Konflikt mit der PKK auch zulasten Ihrer Partei gehen wird?

Was wir in der Türkei erleben, die bewaffneten Konflikte, die Morde – dafür kann nicht die HDP belangt werden, und die Bevölkerung weiß das. Politisch ist die AKP dafür verantwortlich, weil Erdoğan Krieg möchte. Daher fürchten wir uns nicht vor dem Urteil der Bevölkerung, denn die Gesellschaft weiß, dass die HDP für Frieden steht.

Seit Konfliktbeginn hörte man vom inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan nichts zur Causa. Gab es Kontakte von Ihrer Partei?

Seit dem 4.April gab es keinen Kontakt mit Öcalan, weder mit seinen Anwälten noch mit der Familie. Er wird isoliert. Und seither liegen auch die Verhandlungen auf Eis. Das heißt, dass die Regierung bereits im April den Kriegszustand beschlossen hat. Dass Öcalan nicht mit seinen Anwälten oder seiner Familie kommunizieren kann, ist auch gesetzeswidrig. Aber wir wollen nach wie vor, dass die türkisch-kurdischen Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden. Wenn wir das vor den Wahlen schaffen, wäre das sogar noch besser, das würde die Türkei beruhigen. Aber Erdoğan hat derzeit keine Friedenspläne. Von diesem Krieg will er Profit schlagen.

Ihre Partei will sich das föderale System Österreichs zum Vorbild nehmen und in der Türkei, die zentral regiert wird, umsetzen. Was würde das für jene Regionen bedeuten, die mehrheitlich von Kurden bewohnt werden?

Würden in den türkischen Provinzen– wie in den österreichischen Bundesländern– auch gewählte Vertreter regieren, könnte das Land aufatmen. (Die insgesamt 81 Provinzgouverneure in der Türkei werden von der Regierung entsendet, Anm.) Derzeit stehen die Gouverneure über den gewählten Vertreten, das widerspricht den demokratischen Werten. Von einer Reform werden letztlich sicher auch die Kurden profitieren, aber nicht nur sie. Wir denken: Wenn Erdoğan ein Präsidialsystem einführen kann, dann haben wir auch das Recht, über Modelle eines föderalen Staats zu diskutieren.

Bei den Koalitionsgesprächen der AKP haben Sie Ihre Partei immer wieder ins Spiel gebracht. Wurden Sie von Premier Ahmet Davutoğlu kontaktiert?

Es gab ein Treffen mit Davutoğlu, aber wir hatten keine Koalitionsgespräche. Das sind Dinge, die nach der Wahl besprochen werden.

Aber Sie wären bereit für eine Koalition?

Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Über mögliche Koalitionen kann ich derzeit aber nichts sagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2015)

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