Portugal: Wahlen im Land des EU-Musterschülers

Wahl in Portugal
Wahl in PortugalReuters
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Heute wird sich zeigen, ob das große Heer von Sozialhilfeempfängern und Familien mit wirtschaftlichen Problemen die harte Sparpolitik der Regierung ähnlich gut beurteilt wie Berlin und Brüssel.

Am heutigen Sonntag wählen die Portugiesen ein neues Parlament. Dank jüngster wirtschaftlicher Wachstumsdaten hat die Mitte-Rechts-Koalition Portugal a Frente (PaF) von Premierminister Pedro Passos Coelho trotz ihrer unpopulären Austeritäts-Politik laut Wahlprognosen einen leichten Vorsprung vor den oppositionellen Sozialisten (PS).

Durch Strukturreformen am Arbeitsmarkt und die gezielte Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen wächst die Wirtschaft heuer wieder um 1,5 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist in den vergangenen Jahren von 17 auf 11,9 Prozent zurückgegangen. Für das laufende Jahr wird ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 Prozent vorausgesagt. Die Rezession ist überwunden.

"Wir haben Portugal ein Fenster in die Zukunft geöffnet und die Tür hinter der Krise geschlossen", erklärte Premierminister Passos Coelho vergangene Woche. 2011 musste Portugal noch mit 78 Milliarden Euro von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Seit Mai 2014 steht das ehemalige "Sorgenkind" der EU finanziell wieder auf eigenen Beinen.

Ein Musterschüler der Krise

"Unsere Strategie der Strenge war genau richtig", rechtfertigte Passos Coelho noch vor wenigen Tagen sein hartes Spar- und Reformprogramm. Immer wieder zitierte er im Wahlkampf auch gerne Stimmen aus Brüssel und Berlin, die Portugal als "Musterschüler" bei der Überwindung der Krise lobten.

"Die makroökonomischen Erfolgswerte lassen viele Menschen tatsächlich wieder hoffen. Die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmer, welche die Basis der portugiesischen Wirtschaft ausmachen, haben von der Reformpolitik profitiert und werden erneut die PaF wählen", versichert Helena Garrido, Chefredakteurin der portugiesischen Wirtschaftszeitung "Negocios".

Eine Generation ist verschwunden

Es gibt aber auch eine nicht unbedeutende Kehrseite, die der Grund ist, weshalb sich die Regierungskoalition mit den oppositionellen Sozialisten ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern muss. "Das Sparprogramm war härter als nötig und hat zu einer großen Verarmung der Gesellschaft und Massenarbeitslosigkeit geführt", meint Wirtschaftsexperten Francisco Louca. "Dass die Arbeitslosenquote leicht sinkt, liegt lediglich an der Tatsache, dass in den vergangenen vier Jahren eine halbe Million vor allem junger Menschen auf der Suche nach Jobs das Land verlassen haben. Hier hat Portugal eine ganze Generation an Arbeitskräften verloren, die für die Zukunft wichtig ist. Und trotzdem beträgt die Jugendarbeitslosigkeit immer noch 34 Prozent", so Lourca gegenüber der APA.

Jose Augusto Oliveira von der portugiesischen Gewerkschaft CGTP unterstützt diese Meinung. "Die Politik unserer Regierung mag zwar von Brüssel und Berlin bejubelt werden, aber Fakt ist: 573.800 Menschen verloren im Zuge der Sparpolitik ihre Arbeitsstellen. Die Löhne sind durchschnittlich um 20 Prozent in den Keller gesunken, es gibt fast nur Zeitverträge". Der Anteil der Arbeitnehmer, die monatlich den Mindestlohn von 505 Euro erhalten, sei auf ein Fünftel der Erwerbstätigen angestiegen.

"Viele Menschen habe Probleme"

Beim radikalen Kahlschlag in den Staatsbetrieben sagte sogar das Verfassungsgericht 2012 Stopp, um eine "soziale Ungleichheit" zu verhindern. Im Zuge der Inflation und einer Mehrwertsteuer, die von 13 auf 23 Prozent erhöht wurde, würde es auch Pensionisten, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern immer schwerer fallen, mit ihren gekürzten oder eingefrorenen Bezügen ans Monatsende zu kommen, erklärt Oliveira.

Kinderreiche Familie klagen über gekürzten Hilfen für Essen, Transport und Schulbücher. Studenten wurden die Fördergelder verringert, ältere Menschen leiden unter den neuen Praxisgebühren im öffentlichen Gesundheitssystem.

Ein Großteil der portugiesischen Bevölkerung bekommt vom makroökonomischen Aufwind bisher wenig zu spüren, versichert auch Eugenio Fonseca, Vorsitzender des katholischen Hilfswerks Caritas in Portugal. "Viele Menschen habe Probleme, überhaupt das Lebenswichtigste zu kaufen", so der Caritas-Vorsitzende. Die Speisesäle der Caritas können den Ansturm an Hilfsbedürftigen kaum noch Stand halten. Zigtausende Portugiesen hängen von den Lebensmittelbanken ab.

Zunehmende Kinderarmut

Fonseca macht vor allem die zunehmende Armut und Kinderarmut Sorge. Laut jüngsten Angaben des Staatlichen Statistikamtes INE hat der Anteil der Menschen mit Armutsrisiko 2014 in Portugal mit 2,1 Prozent sogar stärker zugenommen als in Griechenland. Rund 27,4 Prozent der Portugiesen befindet sich derzeit im Armutsrisiko, so die INE-Studie.

Am Sonntag wird sich an den Urnen zeigen, ob das große Heer von Arbeitslosen, Pensionisten, Sozialhilfeempfängern, Studenten und Familien mit wirtschaftlichen Problemen die Sparpolitik der Regierung ähnlich gut beurteilt wie Berlin und Brüssel.

(APA)

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