Tintenkiller Matteo Renzi: Italien löscht EU-Sanktionsdrohung

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BELGIUM-EU-POLITICS-SUMMIT-ITALYAPA/AFP/EMMANUEL DUNAND
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Um den innenpolitisch bedrängten italienischen Premier zu schonen, schwächt die EU ihre Russland-Kritik ab.

Brüssel. „Die EU zieht alle verfügbaren Optionen in Betracht, sollten die derzeitigen Gräueltaten nicht aufhören.“ Mit dieser Drohung will die EU Russland dazu bringen, mit dem Bombardement der syrischen Metropole Aleppo aufzuhören. Nach zähem Ringen in der Nacht zum Freitag einigten sich die in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union darauf, Staatspräsident Wladimir Putin zur Raison zu bringen – ohne ihm allerdings die Sanktions-Rute ins Fenster zu stellen. Denn vor dem Beginn des EU-Gipfels machte ein Entwurf der „Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zu den Außenbeziehungen“ die Runde, in dem von „weiteren Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Entitäten, die das Regime (von Syriens Diktator Bashar al-Assad, Anm.) unterstützen, die Rede war. In der endgültigen Fassung des Kommuniqués waren die Worte „Strafmaßnahmen“ (also Sanktionen) und „Entitäten“ (womit beispielsweise die russische Luftwaffe gemeint sein könnte) nicht mehr zu finden.

In die Rolle des Tintenkillers schlüpfte in Brüssel der italienische Premierminister Matteo Renzi. „Ich denke, dass es keinen Sinn gemacht hätte, in dem Text Sanktionen zu erwähnen“, sagte Renzi Donnerstagnacht. Italiens Regierungschef hat sich damit gegen ein Trio der EU-Schwergewichte durchgesetzt, denn die ursprüngliche Formulierung stammte aus den Federn von Angela Merkel, François Hollande und Theresa May. Die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die sich eine strengere Tonlage gewünscht hatten, nahmen nolens volens auf die Befindlichkeiten Renzis Rücksicht. Bei ihrer Pressekonferenz am Freitag nach dem Ende des zweitägigen Gipfeltreffens bemühte sich May jedenfalls darum, der Angelegenheit einen positiven Spin zu verpassen: Man sei sich über Russlands Rolle in Syrien im Klaren und werde weiter Druck auf Moskau ausüben, um das Blutvergießen in Aleppo zu beenden. Die deutsche Regierungschefin gab immerhin zu, sie hätte sich mit der ursprünglichen Fassung „gut anfreunden“ können. Das Thema Sanktionen sei damit aber nicht definitiv vom Tisch.

Merkel bezeichnete die Gipfel-Schlussfolgerungen von Donnerstagnacht als Minimum dessen, was nötig sei. „Wir fordern ein Ende der Angriffe, eine dauerhafte Feuerpause und vor allem einen Zugang für humanitäre Hilfsleistungen für die Bevölkerung“, sagte sie am Freitag. Die Vorgänge in Aleppo bezeichnete sie als barbarisch – und sollten die Bombardements weiter anhalten, sei man sich einig, alle Optionen zu prüfen.

Referendum als Druckmittel

Dass Merkel und Co. Renzi mit Glacéhandschuhen anfassen, hat nicht nur damit zu tun, dass auch weitere EU-Mitgliedstaaten (unter anderem Griechenland, Zypern und Österreich) keine ausgeprägte Lust auf Sanktionen haben, sondern vor allem mit der italienischen Innenpolitik. Am 4. Dezember werden die Italiener über eine Staatsreform abstimmen – es geht darum, die Befugnisse des Senats zu beschneiden, um den Gesetzgebungsprozess zu vereinfachen. Die Umfragen deuten derzeit auf einen Sieg der Reformgegner hin, doch Renzi hat seinen Verbleib an der Regierungsspitze vom positiven Ausgang des Referendums abhängig gemacht. In Brüssel ging es also darum, alles zu unterlassen, was dem italienischen Premier im Wahlkampf schaden könnte – beispielsweise beim EU-Gipfel überstimmt zu werden.

In der Zwischenzeit hat Renzi das Erpressungspotenzial dieser Situation erkannt und liebäugelt mit der Idee, in seinem Budgetentwurf für das kommende Jahr keine Rücksicht auf die europäischen Defizitregeln mehr zu nehmen. „Wir beziehen uns auf außerordentliche Umstände, mit denen wir wegen der Flüchtlingswelle und dem Erdbeben konfrontiert sind“, sagte Italiens Premier. Rom geht für das kommende Jahr von einem Budgetdefizit von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Angesichts der hohen italienischen Gesamtverschuldung von derzeit knapp 133 Prozent des BIPs wünscht sich die EU-Kommission einen Fehlbetrag von maximal 1,7 BIP-Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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