Ein erkaufter Klimakompromiss

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EU-Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich zwar wider Erwarten auf relativ hohe Klimaschutzziele. Aber der Kompromiss weicht das Instrumentarium der Energiewende auf.

Brüssel. Es war eine schwere Geburt am Ende eines siebenstündigen Verhandlungsmarathons: Knapp nach ein Uhr in der Früh wurde im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude, dem Sitz des Rats der EU, die Kunde verbreitet, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Union auf eine gemeinsame Klimapolitik für die nächsten 15 Jahre geeinigt haben. Um einen Kompromiss zu erzielen, hat der scheidende Ratspräsident, Herman Van Rompuy, tief in seine Werkzeugkiste gegriffen – inklusive des berühmt-berüchtigten „Beichtstuhls“, also der intimen Gesprächsrunden, bei denen renitenten Verhandlungspartnern ins Gewissen geredet wird. „Es war nicht einfach – aber wir haben es geschafft, zu einer fairen Entscheidung zu kommen“, sagte Van Rompuy am Ende des langen Abends.
Der vom Ratspräsidenten erwähnte Kompromiss besteht im Wesentlichen aus vier Zahlen: 40, 27, 27 und 15. Damit haben sich die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2030 ihren Kohlendioxidausstoß um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Die zweite Zahl betrifft den Prozentanteil erneuerbarer Energiequellen am europäischen Energiemix, die dritte die angestrebte Steigerung der Energieeffizienz. Zahl Nummer vier wiederum gibt vor, wie viel Strom im Jahr 2030 grenzüberschreitend in die europäischen Energienetze gespeist werden soll.

(c) Die Presse

Zugeständnisse an Polen

Dass die Verhandlungen so zäh waren, lag daran, dass um jede dieser vier Zahlen gefeilscht wurde – allem voran um die Reduktion der CO2-Emissionen, die (anders als die anderen drei Vorgaben) für die einzelnen EU-Mitglieder verbindlich ist.
Hauptgegner dieses Klimaziels war Polen, das rund 90 Prozent seines Stroms aus dem „schmutzigen“ Energieträger Kohle generiert – derart ambitionierte Vorgaben würden die polnische Wirtschaft in den Ruin treiben, lautete das Argument der neuen polnischen Premierministerin, Ewa Kopacz, die ihren ersten EU-Gipfel in Brüssel absolvierte. Um den Widerstand zu brechen, wurde Kopacz von Van Rompuy gleich zu Beginn des Gipfels in den „Beichtstuhl“ gesteckt – und zwar gemeinsam mit Angela Merkel und François Hollande, die der Polin ein erstes Kompromissangebot unterbreiteten, während der Rest der Regierungschefs auf ein Verhandlungsergebnis – und den Beginn des Abendessens – wartete. Als Kopacz weitere Zugeständnisse erhielt, gab sie nach.
Der Kompromiss betrifft die Art und Weise, in der das Emissionsziel erreicht werden soll. Rund die Hälfte der CO2-Reduktion soll durch den Einsatz von Verschmutzungsrechten (ETF) erzielt werden, die Industriebetriebe, Kraftwerke etc. erwerben müssen. Diesbezüglich kommt die EU Warschau in drei Punkten entgegen: erstens bei kostenlosen Verschmutzungsrechten für Schlüsselindustrien, die es für die meisten mittel- und osteuropäischen EU-Mitglieder bis 2030 geben wird – und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, bis 2020. Zweites Zuckerl: Die Einnahmen aus zwei Prozent des gesamteuropäischen ETF-Handels sollen für die Modernisierung der Energiebranche in den ärmeren EU-Mitgliedsländern verwenden werden – Schätzungen zufolge dürfte knapp die Hälfte dieses Geldes nach Polen fließen.
Und zu guter Letzt dürfen die Polen die ETF-Mittel nicht ausschließlich für erneuerbare Energiequellen nutzen, sondern auch für die Modernisierung ihrer Kohlekraftwerke. Nach polnischen Berechnungen haben diese Zusagen einen kumulierten Geldwert von 38,5 Milliarden Zloty (rund neun Mrd. Euro).

Korrektur bei Klimakonferenz

Das zweite Element der europäischen Klimaformel: 2030 sollen 27 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen stammen – dieses Ziel gilt allerdings EU-weit, es gibt also keine konkreten Vorgaben für die Hauptstädte. Die 27-prozentige Effizienzsteigerung ist nur „indikativ“, also eine Empfehlung, deren Nichteinhaltung nicht sanktioniert wird. Der grenzüberschreitende Energiefluss soll durch den Ausbau sogenannter Interkonnektoren erhöht werden – über den Fortschritt dieses Vorhabens soll die EU-Kommission wachen.
Noch ist diese EU-Formel allerdings nicht in Stein gemeißelt. Der Beschluss sieht vor, dass die Union ihre Ziele im Licht der Klimakonferenz 2015 in Paris neu bewerten wird. Theoretisch könnte die EU also ihre Ambitionen zurückstecken, sollten die USA und China beim Klimaschutz weniger Enthusiasmus an den Tag legen. Ratspräsident Van Rompuy gab gestern diesbezüglich Entwarnung: Die europäischen Vorgaben würden so oder so nicht aufgeweicht.

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