„Warum dürfen wir nicht in die Züge?“

Migrants form a sit-down demonstration as police block the entrance to the main Eastern Railway station in Budapest
Migrants form a sit-down demonstration as police block the entrance to the main Eastern Railway station in Budapest(c) REUTERS (LASZLO BALOGH)
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In Budapest verschärfte sich die Lage, als die Polizei den Bahnhof Keleti sperrte. In Rosenheim wurden ankommende Asylwerber geordnet registriert.

Willkommen in Rosenheim. Es ist der erste Halt des Eurocity 88 nach der österreichischen Grenze – und das bayerische Empfangskomitee steht auf Bahngleis 1 Spalier. Ja, Polizisten. Doch sie schlagen einen netten Ton an, als wären sie Reiseleiter. „Follow me“, sagt eine blonde Polizistin zu einer Sechsergruppe Flüchtlinge. Drei Männer, drei Frauen, dunkle Haut, trotz der Hitze mit Winterjacken bekleidet, in Händen Taschen und Säcke. Erschöpft wirkend gehen sie der Polizistin nach zu einem gesperrten Stiegenabgang 2–7, Ausgang Klepperstraße, zu den Zügen.

Es ist der erste Ort, an dem sie sich jetzt einmal niederlassen können. Auf Stufen, mit Mineralwasser in der Hand. Männer links, Frauen und Familien rechts – das haben die Beamten auch auf ein Schild geschrieben und mit Strichmännchen gezeichnet.

„Die Kollegen gehen durch den Zug, kontrollieren Pass und Visum. Wer das nicht vorweisen kann, ist illegal eingereist“, sagt Rainer Scharf. Der Sprecher der Rosenheimer Polizei geht den Bahnsteig auf und ab, schaut auf die Kollegen, hinter denen Kamerateams hergehen, um Amtshandlungen zu filmen. Zwischen zehn und 20 Polizisten sind im Einsatz, je nach Tageszeit. Einige tragen Mundschutz und Gummihandschuhe. „Zum Schutz vor Krankheiten“, sagt Scharf. Das sei auch ein Grund, warum man die Menschen schon bei der ersten Station nach der Grenze überprüfe. „Um sie von den anderen Reisenden zu trennen.“ Aber auch, um ihnen gültige Dokumente auszustellen, damit sie nicht mehr Schleppern ausgeliefert sind.

Begleitung oder Kontrolle gibt es nicht

Die meisten Menschen wollten hier um Asyl bitten, meint Scharf. Hinter dem Absperrband auf dem Bahnsteig wird überprüft, wer sind sie, wohin sie wollen. An die 200 habe man am Montag gezählt, Sonntagnacht 400 aus dem Zug gefischt. Im August zählte man in Rosenheim 9600 Flüchtlinge. Im ganzen Jahr 2014 waren es 9400. „In der Früh kommen die meisten“, sagt die Polizistin. „Da kam der Zug aus Zagreb.“ Es sind zwei Richtungen, aus denen die Leute kommen. Über Italien und Tirol – in diesem Fall meist Afrikaner. Oder von Osten, über den Balkan und Wien, da kommen Syrer, Iraker, Pakistani und Afghanen.

Per Bus werden die Menschen in eine Turnhalle bei der Polizeiwache gebracht, dort weist man ihnen Feldbetten zu. Schließlich wird jeder Einzelne wieder überprüft: Will er hier Asyl, wurde er anderswo schon registriert – per Fingerabdruck lässt sich das feststellen. „Wenn es gutgeht, dauert die Registrierung zwei bis drei Stunden“, sagt Polizeisprecher Scharf. Dann können die Leute gehen. Wenn sie Asyl wollen, wird sie der Weg nach München führen, dort ist die Behörde für Asylverfahren. Begleitung gibt es nicht. Man verlässt sich darauf, dass sie die richtige Stelle ansteuern. Dolmetscher und Helfer sagen ihnen, wo sie hinmüssen.

Hamain Hamras etwa, ein Afghane, ist seit zweieinhalb Monaten unterwegs, sagt er. Fünf Tage und fünf Nächte habe er in einem Dschungel verbracht und es in Budapest in einen Zug Richtung Deutschland geschafft. Als ihn die Polizei weckte, fragte er: „Wo bin ich?“ Rosenheim, Germany. Das Land, in das er wollte. „Deutschland ist ein gutes Land.“ Von den Beamten in Rosenheim sind Beschwerden über den Zustrom nicht zu hören. Dass die Ungarn die Menschen nicht aufhalten und die Österreicher sie durchwinken, wird nicht thematisiert.

Dienstagmorgen riss der Zustrom aus Ungarn aber zunächst ab: In Budapest sperrte die Polizei den Ostbahnhof (Keleti). Hunderte Flüchtlinge wurden vertrieben, Verwirrung brach aus – etwa unter einem syrischen Familienvater mit Fahrkarten für sich, seine Frau und zwei Kinder nach Wien. „Ich verstehe nicht, warum wir nicht zu den Zügen können“, sagt er entnervt. Dabei durften am Vortag mehr als 2000 Menschen fahren.

Ein Polizist, der mit Kollegen eine Menschenmauer bildet, sagt, dass der Zugsverkehr vorläufig gestoppt sei. Die meisten Flüchtlinge hätten nämlich keine Reisedokumente bei sich. Bahnreisende im Railjet 60 (7.10 Uhr ab Budapest nach Wien) berichteten von Schikanen gegen Einsteigende, Bahnhofsmitarbeiter hätten Reisende zu falschen Zügen geführt. Auch nach der Abfahrt der Züge sorgte die Polizei dafür, dass diese rigide kontrolliert wurden – glaubt man dem Zugpersonal. Die Strategie der Polizisten dürfte aufgegangen sein: Ab dem Bahnhof Mosonmagyaróvár war dieser Railjet halb leer. Am Nachmittag wurde der Bahnhof für Reisende mit Ausweisen und Tickets wieder geöffnet, nicht aber für Flüchtlinge. Hunderte Menschen hingen auf dem Gelände rundherum fest, das einem Campingplatz voller Unrat glich und nach Urin stank.

Sieben neue Verhaftungen

Außenminister Péter Szijjártó verwahrte sich am Dienstag gegen Kritik von Bundeskanzler Werner Faymann, der den Sinn des ungarischen Grenzzauns gegen Serbien und die Vorgangsweise der Ungarn generell infrage gestellt hatte. Österreichs Botschafter wurde sogar ins Außenamt zitiert. Kanzleramtsminister János Lázár sagte, Ungarn müsse eine EU-Außengrenze schützen und lasse Migranten künftig nur noch geordnet ins Land. Der Fraktionschef der regierenden Partei Fidesz, Antal Rogan, sagte, man wolle verhindern, dass die Enkel der heutigen Ungarn einmal in einem „Kalifat“ leben müssten.

Nach dem Tod der 71 Flüchtlinge in einem Schlepper-Lkw vorige Woche gab es derweil in Bulgarien sieben weitere Verhaftungen. Näheres war vorerst unbekannt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2015)

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