Experte: "Kürzung der Mindestsicherung verfassungswidrig"

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Gegen die in Oberösterreich von FPÖ und ÖVP geplante Kürzung anzugehen sei kompliziert und zeitaufwendig, sagt Verfassungsrechtler Öhlinger.

Die von Schwarz-Blau in Oberösterreich geplante Kürzung der Mindestsicherung ist für den Verfassungsrechtler Theo Öhlinger EU-rechts- und verfassungswidrig. Das sagte er bei einem Expertenhearing, zu dem Integrationslandesrat Rudi Anschober (Grüne) am Freitag in Linz geladen hatte. Dagegen anzugehen sei angesichts der Zweidrittelmehrheit von ÖVP und FPÖ aber kompliziert und zeitaufwendig.

Der Hintergrund: ÖVP und FPÖ haben einen Gesetzesvorschlag in den Landtag eingebracht, wonach die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) für anerkannte Asylwerber und subsidiär Schutzberechtigte von 914 auf 320 Euro gekürzt werden soll. Ein Aufschrei von SPÖ, Grünen und NGOs war die Folge. Anschober lud daher zu einem Expertenhearing, an dem neben SPÖ-Soziallandesrat Reinhold Entholzer und Öhlinger auch Christoph Pinter, Leiter des UNHCR in Wien, sowie weitere Experten aus dem Bereich der Soziologie und Armutsforschung teilnahmen.

Fazit der Runde: Die geplante Regelung sei rechtswidrig und hinderlich für die Integration. Da man jedoch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im oberöstrerreichischen Landtag schwer dagegen vorgehen kann, wolle man mit Information offensiv an die Bevölkerung gehen.

"Kürzung darf nicht unverhältnismäßig sein"

Die Differenzierung zwischen EU-Bürgern und anerkannten Flüchtlingen verstoße gegen EU-Recht, ist Öhlinger überzeugt. Die BMS für alle zu kürzen, wäre seiner Ansicht nach zwar kein EU-rechtliches Problem, aber wiederum ein "massives verfassungsrechtliches", weil: "Die Kürzung darf nicht unverhältnismäßig sein." Diese Grenze sei aber rasch erreicht, weil die BMS - wie der Name schon sage - ohnehin nur den Mindestbedarf abdecke. In der Landesverfassung sei zudem die Menschenwürde festgeschrieben und eine Mindestsicherung, die die Menschenwürde nicht mehr gewährleiste, würde dagegen verstoßen, so der Jurist.

Sollte die Kürzung beschlossen werden, sei es aber nicht so einfach, rasch dagegen vorzugehen, erklärte Öhlinger: Der einfachste Weg wäre ein sogenannter Drittelantrag, hinter dem ein Drittel der Landtagsabgeordneten stehen muss. SPÖ und Grüne haben dazu aber zu wenige Mandate. Daher könne nur ein Betroffener gegen das Gesetz vorgehen - anfangs allerdings auch nur indirekt, indem er sich an das Verwaltungsgericht wendet. Dieses kann dann den Verfassungsgerichtshof befassen. Tut es das nicht, steht dem Betroffenen - wohl nur mithilfe einer NGO - der Weg zum VfGH ebenfalls offen. Erst dann kann dieser "von Amts wegen" das Gesetz prüfen. Als realistischen Zeitrahmen für dieses komplizierte Prozedere nannte Öhlinger rund zwei Jahre.

Anschober "überrascht über Klarheit der Rechtsaussagen"

Aber auch von Integrationsseite und aus volkswirtschaftlicher Sicht kamen kritische Stimmen: UNHCR-Leiter Pinter wies darauf hin, dass die Armutsgrenze in Oberösterreich bei über 1000 Euro pro Einzelperson liege und mit den angedachten 320 Euro wohl kaum ein menschenwürdiges Leben möglich sei. "Wer nicht weiß, wo er übernachten soll, wird kaum in der Lage sein, sich um seine berufliche Zukunft zu kümmern", befürchtet Pinter. Er wies darauf hin, dass der Anspruch auf Sozialleistungen auch in der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Statusrichtlinie geregelt sei.

Soziallandesrat Entholzer rechnete vor, dass die Kürzung der BMS derzeit eine Ersparnis von jedenfalls weniger als zwei Millionen Euro bringen würde. Dem gegenüber stünden aber ungleich höhere Kosten durch soziale Auswirkungen wie Obdachlosigkeit, Kriminalität etc. Es sei bei dem Hearing auch klar geworden, dass die Menschen nicht wegen der Sozialleistungen nach Österreich kommen, sondern weil es ein sicheres Land sei. Das Geld, das die Asylberechtigten bekommen, gehe ohnehin eins zu eins in den Konsum.

Anschober als Initiator des Hearings war "überrascht über die Klarheit der Rechtsaussagen", wie er nachher sagte. Die von Öhlinger erklärte Variante, dass ein Betroffener klagen müsse, sei für ihn allerdings nur ein Worst-Case-Szenario. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Abgeordneten sehenden Auges einen rechtswidrigen Beschluss fassen."

(APA)

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