Alois Stöger: Der Scheue hat die Bühne entdeckt

Als Sozialminister hat Alois Stöger das Rampenlicht schätzen (und für sich zu nutzen) gelernt – davor ist er lieber im Hintergrund geblieben.
Als Sozialminister hat Alois Stöger das Rampenlicht schätzen (und für sich zu nutzen) gelernt – davor ist er lieber im Hintergrund geblieben.(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Nach siebeneinhalb Jahren in der Regierung wagt sich Alois Stöger aus der Deckung und bestätigt dabei einen alten Verdacht: dass man ihn zum linken SPÖ-Flügel zählen muss.

Wien. Alois Stöger gegen August Wöginger und umgekehrt: Im fast schon alltäglichen sozialpolitischen Duell hatte der ÖAAB-Obmann das vorerst letzte Wort. Am Mittwoch richtete Wöginger dem Sozialminister aus, die ÖVP sei nur dann bereit, über Änderungen bei der Pflegefreistellung zu diskutieren, wenn die Finanzierung der Pflege langfristig abgesichert werde. Im Übrigen, so Wöginger im ORF-Radio, frage er sich, warum Stöger den Vorschlag über die Medien mache, anstatt zuerst mit dem Koalitionspartner darüber zu sprechen. Die Antwort lautet: Weil er auf den Geschmack gekommen ist.

Als Alois Stöger noch Gesundheitsminister bzw. Infrastrukturminister war, stellte man sich gelegentlich die Frage, ob er denn überhaupt noch im Amt ist – so unauffällig und scheu war er in den vergangenen Jahren. Aber seit der 55-Jährige das Sozialministerium übernommen hat (seit Ende Jänner) und erst recht, seit Christian Kern sein neuer Chef ist (seit Mitte Mai), ist Stöger Dauergast auf der medialen Bühne. Allein in der vergangenen Woche hat der Sozialminister ein Bankomatgebührenverbot und die Pflegefreistellung für Kinder, die nicht im selben Haushalt wie ihre Eltern wohnen, gefordert. Er hat den Dienstleistungsscheck für Asylwerber vorgeschlagen und – womit wir wieder beim Duell mit Wöginger wären – einen 1500-Euro-Deckel bei der Mindestsicherung abgelehnt („verfassungswidrig“).

Auf Lopatkas Spuren

Das ist, frequenzmäßig betrachtet, fast schon Lopatka-artig, wobei Stöger deutlich konstruktiver als der ÖVP-Klubobmann in Erscheinung tritt. Er macht Vorschläge, die andere dann – meist ÖVP-Politiker – ablehnen. Reinhold Lopatka hingegen lehnt in der Regel die Ideen anderer – meist solche von SPÖ-Politikern – ab. Das ist ein Unterschied.

Stögers plötzliche Offensive (Charmeoffensive wäre dann doch zu weit gegriffen) verdankt sich auch seinem neuen Job als Sozialminister, der in der SPÖ einen hohen Stellenwert hat. Eine gewisse Medienpräsenz gehört da dazu. In Stögers Fall hat das den Vorteil, dass man den introvertierten Minister nun besser kennenlernt. Auch und vor allem ideologisch. Man erfährt jetzt, wofür dieser Alois Stöger steht, und was er eher nicht ist: Ein marktfreundlicher Sozialdemokrat wäre nicht für ein Bankomatgebührenverbot und für eine Arbeitszeitverkürzung. Ein rechter Sozialdemokrat hätte nichts gegen Einschränkungen bei der Mindestsicherung (schlag nach bei Hans Niessl). Und ein Neuer-Stil-Sozialdemokrat würde eine weitreichende Pensionsreform bis hin zu einem Automatismus nicht kategorisch ausschließen.

So scheint sich nun also der von vielen gehegte Verdacht zu bestätigen, dass es sich bei Stöger um einen Linken mit pragmatischen und durchaus auch populistischen Zügen – Stichwort Bankomatgebührenverbot – handelt. Das passt ganz gut in seine politische Vita. Sozialisiert wurde Stöger nämlich im Industrieland Oberösterreich und, vor allem, im Gewerkschaftsbund. Da wie dort sitzen seine Fürsprecher. Für die einen ist Stögers Herkunft das Motiv, ihn zu unterstützen. Für die anderen sein Politikverständnis. Wäre er ein reformorientierter Revoluzzer, hätte ihn die Gewerkschaft nie zum Sozialminister gemacht. Im ÖGB schätzt man eher den soliden, strukturkonservativen Typus.

Dass Stöger vom Kabinett Faymann ins Kabinett Kern übernommen wurde, dürfte auch eher pragmatische Gründe gehabt haben. Der neue Kanzler wollte sich nicht schon zum Amtsantritt mit den Gewerkschaftern anlegen. Außerdem sind personelle Abenteuer in einem Großressort wie dem Sozialministerium nicht ratsam. Kern brauchte einen erfahrenen Politiker mit Verhandlungsgeschick und gutem Netzwerk. Stöger erfüllte diese Anforderungen: Er ist, gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, das am längsten dienende Regierungsmitglied. Und er hat 2012 eine Gesundheitsreform aufgesetzt, mit der Krankenkassen und Länder einverstanden waren. An diesem Projekt waren sämtliche Gesundheitsminister vor ihm gescheitert.

Größter Erfolg Gesundheitsreform

Die Gesundheitsreform (oder besser: deren theoretisches Konstrukt) ist bis heute sein größter Erfolg geblieben. Von Stöger kam auch der Anstoß zur Elektronischen Gesundheitsakte (Elga). Im Infrastrukturministerium hat er wenig Spuren hinterlassen – die größte war wohl die Breitbandmilliarde.

Für eine Sozialministerbilanz ist es nach einem halben Jahr wahrscheinlich noch zu früh. Da war zunächst eine Mini-Pensionsreform Ende Februar, deren größte Errungenschaft die Verkleinerung der Pensionskommission war. Im Mai folgte ein Gesetz gegen Lohndumping und Sozialbetrug, im Juli dann die Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr. Aber die war noch von seinem Vorgänger, Rudolf Hundstorfer, vorbereitet worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2016)

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