CETA: Schiedsgerichte werden auf Eis gelegt

Thousand of people demonstrate against TTIP and CETA in the centre of Brussels
Thousand of people demonstrate against TTIP and CETA in the centre of Brussels(c) REUTERS (ERIC VIDAL)
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Die Handelsminister einigten sich darauf, dass der Investorenschutz erst dann aktiviert wird, wenn alle nationalen Parlamente den Pakt ratifiziert haben.

Brüssel/Bratislava. „Ceta ist fertig.“ Diese Botschaft hatte die für Handelsfragen zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström an die am gestrigen Freitag in Bratislava versammelten Handelsminister der EU. Das Freihandelsabkommen mit Kanada werde keinesfalls wieder aufgeschnürt – wo es Bewegungsspielraum gebe, sei bei der „juristischen Klarstellung“ einiger Aspekte des Pakts, betonte Malmström gestern. Die Brüsseler Behörde wolle jenen „wenigen, aber sehr wichtigen“ Mitgliedstaaten, die Bedenken geäußert haben, entgegenkommen, indem sie den nationalen Regierungen Argumente liefert, warum das Abkommen mit Kanada vorteilhaft sei.

Während die Handelskommissarin versuchte, die Wogen zu glätten, langten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vier Eilanträge ein, die den vorläufigen Stopp des Ratifizierungsprozesses in Deutschland zum Inhalt haben. Die Verfassungsrichter wollen am 13. Oktober darüber befinden. Die Anträge richten sich vor allem gegen das System der Schiedsgerichtbarkeit, das Investoren vor staatlicher Willkür schützen soll – Kritiker des Investorenschutzes sehen darin eine Gefahr für die Demokratie. Diese Bemühungen in letzter Minute könnten allerdings ins Leere zielen, denn nach Auskunft des zuständigen deutschen Ressortchefs, Sigmar Gabriel, wird die entsprechende Passage des Abkommens erst eingefügt, wenn alle nationalen Parlamente das Abkommen ratifiziert haben.

Die EU und Kanada verhandeln seit 2009 über Ceta, der Pakt soll beim bevorstehenden EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober unterzeichnet werden und anschließend vorläufig zur Anwendung kommen. Endgültig ratifiziert ist das Abkommen, wenn das Europaparlament sowie alle nationalen Parlamente zustimmen – Ceta ist nämlich ein sogenanntes gemischtes Abkommen, das nicht von der EU-Kommission im Namen der Mitgliedstaaten unterzeichnet werden darf. Normalerweise darf die Brüsseler Behörde für Handelsfragen autonom agieren.

Dass dies bei Ceta nicht der Fall ist, hängt einerseits mit der Komplexität des Abkommens zusammen, das über Zollfragen weit hinausgeht und politisch heiklere Themen der regulatorischen Zusammenarbeit beinhaltet. Andererseits weckt es Widerstände, weil es Kritikern als Blaupause für das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) gilt. Zuletzt hatten vier EU-Mitglieder Bedenken artikuliert: Belgien, wo zwei Regionalparlamente Ceta als Einstieg für TTIP sehen, Rumänien und Bulgarien, die von Kanada die Aufhebung der Visapflicht für ihre Staatsbürger fordern – sowie Österreich, wo die Front zwischen den Regierungsparteien ÖVP (dafür) und SPÖ (skeptisch bis ablehnend) verläuft. Mit dem gestrigen Beschluss der Handelsminister, die Schiedsgerichte vorerst auf Eis zu legen, scheint sich die Atmosphäre innerhalb der Großen Koalition allerdings etwas entspannt zu haben. Laut Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), der für die Materie zuständig ist, gibt es nun keine Gründe mehr, die Unterzeichnung hinauszuzögern. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) wiederum ortete gestern „Bewegung in die richtige Richtung“, wollte aber noch keine abschließende Bewertung abgeben.

TTIP: „Schlechte Substanz“

Was das umfangreichere Abkommen mit den USA anbelangt, stehen die Zeichen indes auf Rot. Daran, dass Washington und Brüssel wie geplant noch heuer handelseins werden, glauben nicht einmal geborene Optimisten. „Aus unserer Sicht ist TTIP faktisch eingestellt“, sagte Mitterlehner, während sein deutscher Kollege Gabriel gestern von „schlechter Substanz“ sprach.

CETA

Das Handelsabkommen mit Kanada wird seit 2009 verhandelt. Die EU-Kommission erwartet, dass Ceta die europäischen Exporte nach Kanada um rund zwölf Mrd. Euro pusht und 140.000 Arbeitsplätze schafft. Kern des Pakts ist die gegenseitige Anerkennung (bzw. Harmonisierung) von Produktstandards, was Exporteuren das Leben erleichtern soll, sowie Rechtsschutz für Investoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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