"Männer kämpfen mit unfairen Mitteln"

(c) Mirjam Reither
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Ex-Frauenministerin Rauch-Kallat und die linke ÖH-Chefin Wulz über die "grausige Hymnendebatte", die Angst, dass die Männer "zurückschlagen" - und darüber, warum Mädchen bis heute so gern Friseurinnen werden.

„Heimat großer Töchter, Söhne“ oder „Heimat großer Töchter und Söhne“ – für die geschlechtergerechte neue Bundeshymne gibt es mehrere Vorschläge. Welche Version würden Sie künftig gern singen, Frau Wulz?

Janine Wulz: Eigentlich will ich die Hymne gar nicht singen. Den symbolischen Wert, beide Geschlechter vorkommen zu lassen, halte ich dennoch für groß.
Maria Rauch-Kallat: Ich habe extra mehrere Varianten einsingen lassen, damit die Abgeordneten die Wahl haben. Wir haben im Antrag auch festgehalten, dass es durchaus wichtigere Dinge gibt, die Hymne aber ein Symbol und Sprache das wichtigste Medium zur Bewusstseinsbildung ist. Alle fragen mich: „Gibt es nichts Wichtigeres?“ Dennoch beschäftigt die Debatte alle heimischen Medien und die Online-Foren. In den Wortmeldungen, die ich da lese, kommt teilweise eine Gehässigkeit gegen Frauen auf, das ist grausig. Solche Statements beweisen mir, dass die Debatte nötig ist.
Wulz: Werden alle ÖVP-Männer für die Änderung stimmen?
Rauch-Kallat: Es ist legitim, wenn einige nicht mitstimmen. Ich bin der Meinung, die Abstimmung soll freigegeben werden. Aber sie sollte namentlich und offen stattfinden, sodass später jeder gefragt werden kann, warum er wie gestimmt hat. Da höre ich mir dann alle guten und weniger guten Argumente an.

Wenn man sich etwa die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen ansieht, hat man das Gefühl, die heimische Frauenpolitik kommt über solch symbolische Akte nicht hinaus.

Rauch-Kallat: Das ist nicht richtig. Aber Frauenpolitik ist – einmal abgesehen von den Frauen, die sich damit beschäftigen – offenbar niemandem in Österreich ein so großes Anliegen, dass sie zu einem tagespolitischen Thema gemacht wird. Sobald aber wir Frauen etwas zum Thema machen, heißt es „Na, ned schon wieder. Ihr habt ja eh schon alles erreicht.“
Wulz: Die Änderung der Hymne ist ein Minischritt auf einem langen Weg. Wichtig finde ich die Vernetzung über Parteigrenzen hinweg. Frauen müssen gemeinsam kämpfen, damit endlich etwas weitergeht.
Rauch-Kallat: Ich würde nicht „endlich“ sagen. In den vergangenen 50 Jahren ist enorm viel passiert. Es gab auch bereits Schulterschlüsse, etwa bei der Pensionsreform.
Wulz: Bei der Gleichstellung von Frauen liegt Österreich im internationalen Vergleich dennoch nur an 114. Stelle.
Rauch-Kallat: Das glaube ich nicht. Da würde ich schon ganz gern wissen, welche Kriterien in solche Studien mit einfließen.
Wulz: Ich habe das Papier dabei. Im „Gender Gap Report“ des World Economic Forum liegt Österreich bei den Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen an der 114. Stelle von 134 Staaten. Daran sehen wir, wie viel Weg noch vor uns liegt. Und da frage ich mich, warum die Frauen in der ÖVP nicht vehementer einfordern, dass Geschlechtergerechtigkeit keine reine Frauensache ist, sondern alle Menschen etwas angeht? Wo bleibt die Forderung nach einer Frauenquote?
Rauch-Kallat: Es gibt die Quote in unserem Parteistatut. Sie wurde in Wien bereits 1989 positiv zur Abstimmung gebracht, weil die Männer die Formulierung nicht begriffen haben. Der Antrag lautete „jedes zweite frei werdende Mandat geht an eine Frau“. Und die Männer dachten, es wird eh keines frei – bis ich ihnen gesagt hab, dass bei der nächsten Wahl alle Mandate frei werden. Die Regelung wurde nur nie exekutiert. Leider! Es gibt keine Sanktionen. Wolfgang Schüssel hat sich bei den Bundeslisten für die Nationalratswahl jedoch immer daran gehalten. Bei den Landeslisten gibt es schon Knatsch mit Landeschefs.
Wulz: Darum hat die ÖVP bis heute 38 Männer im Nationalrat und nur 13 Frauen. Und dieses Missverhältnis setzt sich auf der Ministerbank fort.
Rauch-Kallat: Das stimmt nicht. Die ÖVP hat genau 50 Prozent Frauen unter den Ministern. Die Staatssekretäre drücken den Schnitt.
Wulz: Dennoch wird es Frauen bis heute schwer gemacht, in die Politik zu gehen. Es fehlen Vorbilder.

Rauch-Kallat: Vorbilder gäbe es genügend für junge Frauen.

Wo in der heimischen Innenpolitik finden Sie denn bitte junge, kämpferische Frauen? Die meisten Frauenvertreterinnen in den Parteien sind – gerade bei der ÖVP – ältere, etablierte Damen.

Rauch-Kallat: Ich denke da nur an Doris Hummer, die mit 38 Jahren Landesrätin in Oberösterreich ist. Oder an Silvia Fuhrmann, die mit 21 Jahren im Parlament saß.
Wulz: Das sind Einzelfälle. Ich bin zum Glück in einer Fraktion, die ein positives Bild von Frauen hat.
Rauch-Kallat: Ganz so einfach war das bei den Grünen auch nicht immer. Als sie das erste Mal ins Parlament gekommen sind, hatten sie an der Spitze zwar Freda Meissner-Blau. Hinter ihr kamen aber sieben Männer. Das haben wir immer kritisiert. Erst heute gelingt es ihnen, mehr Frauen als Männer in den Gremien zu haben. Die ÖVP ist aber die Vorreiterpartei. Ich denke da an die erste Frau, die je in Österreich in einer Regierung war. Das war 1966 mit Grete Rehor eine ÖVP-Frau. Die erste Frau, die weltweit Chefin einer Notenbank war, war Maria Schaumayer. Wieder ÖVP.
Wulz: Dann frage ich mich, warum es all diesen Frauen, die selbst erlebt haben, wie es ist, mit Hürden zu kämpfen, nicht gelungen ist, Frauenpolitik zu machen, die etwas ändert? Warum ist es bis heute so, dass Mädchen Kindergärtnerinnen und Friseurinnen werden und Männer Professoren?

Rauch-Kallat: Es hakt an drei Stellen. Erstens: die Berufswahl. Man kann niemanden zwingen, einen bestimmten Beruf zu ergreifen. Überzeugen Sie die Mädchen, dass sie nicht alle Friseurin werden wollen. Zweitens: die Berufsunterbrechung. Wir müssen die Männer überzeugen, dass sie Karenz nehmen. Und zwar richtig. Nicht zwei Monate, sondern die Hälfte der Zeit. Und drittens: der Berufsaufstieg. Unser Problem ist, dass sich Frauen für gute Jobs oft einfach nicht bewerben.

Sie vermitteln den Eindruck, es brauche Gnadenakte der Männer, damit Frauen vorankommen. Das entspricht nicht gerade einem emanzipatorischen Feminismusbegriff.

Rauch-Kallat: Das nicht. Aber Frauen gehen nicht gern in Konflikte. Und wenn doch, dann meistens für andere, nicht für sich selbst.
Wulz: Da geht es auch um tradierte Frauenbilder. Jeder kennt die Situation, etwa bei einer Familienfeier: Wenn ein Bub auf einen Baum klettert, wird er bewundert. Das Mädchen darf nicht hinauf, um sich das Kleid nicht kaputt zu machen.
Rauch-Kallat: Wir müssen von den Frauen noch mehr Kampfbereitschaft einfordern. Die Männer geben nichts freiwillig her. Wovor ich vor allem Angst habe, ist, dass unsere Errungenschaften noch nicht abgesichert sind. Ich sage nur: Das Imperium schlägt zurück. Sobald Männer merken, dass mehr Plätze für Frauen gleichzeitig weniger Plätze für Männer bedeuten, beginnen sie zu kämpfen. Und das auch mit unfairen Mitteln.

Wulz: Unser Kampf muss laut sein, sonst werden wir nicht gehört. Niemand gibt freiwillig Privilegien her.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie aktuelle Studien sehen, in denen eine Mehrzahl der jungen Frauen angibt, gern Hausfrau zu sein, wenn der Mann nur ausreichend verdient.

Rauch-Kallat: Genau das habe ich gemeint. Es gibt immer wieder Gegenbewegungen.

Wulz: Das zeigt, dass es in Österreich immer noch eine konservative Wertediskussion gibt, die darauf abzielt, Frauen in ihre Rollen zurückzudrängen und ihre Errungenschaften zu zerstören, weil sie die Machtverhältnisse angreifen.

Damit signalisieren Sie Frauen, dass der Wunsch, Hausfrau zu sein, keinem legitimen Lebensentwurf entspricht.

Rauch-Kallat: Ich warne die Frauen nur davor, sich in die Abhängigkeit eines vielleicht liebenden Mannes zu begeben, ohne sich zu überlegen, was passiert, wenn er plötzlich eine andere noch lieber hat.

Wie können Sie als kämpferische Frau Ihr Frauenbild mit der Mitgliedschaft in der ÖVP vereinbaren, die bis heute als Männerbund wahrgenommen wird?

Rauch-Kallat: Dieses Bild stimmt so nicht mehr. Ansetzen müssen wir im ländlichen Raum, da haben wir oft ein echtes Frauenproblem. In den ländlichen Wahlkreisen kommen Frauen halt kaum hinein. Wenn sich Frauen politisch engagieren – so wie das Mädchen, das auf den Baum will –, werden sie gefragt, wozu das gut sein soll. Hat sie keinen Mann gefunden? Oder, wenn sie einen hat – ist ihm das recht? Hat sie keine Kinder, kennt sie sich im Leben nicht aus. Hat sie welche, ist sie eine Rabenmutter.

Haben Sie Ihren Mann gefragt, ob ihm Ihr politisches Engagement recht ist? Sie sprechen aus eigener Erfahrung?

Rauch-Kallat: Mein jetziger Mann hat mich als Politikerin kennengelernt. Meinen ersten Mann habe ich zu dem Zeitpunkt, als ich ins Parlament kam, gar nichts mehr gefragt. Es wäre mir auch egal gewesen, wenn er dagegen gewesen wäre.

Frau Wulz, die grüne Parteichefin Glawischnig hat zuletzt in einem „Presse“-Interview gefordert, man solle zur Kenntnis nehmen, dass Frauen „Hirn und Hintern“ haben. Deckt sich das mit Ihrem Frauenbild?

Wulz: Ich befasse mich lieber mit dem Hirn als mit dem Hintern. Die Schwierigkeiten, die Frau Rauch-Kallat geschildert hat, erleben aber natürlich nicht nur Frauen in der ÖVP, sondern in allen Fraktionen. Und in der Wirtschaft. Und dagegen muss die Politik vorgehen. Es gibt gesetzliche Handhabe dagegen – wenn es um die Bezahlung geht oder um Quoten. Aber auch, was die Kinderbetreuung anlangt.

Wären Sie beleidigt, wenn ich Sie als Emanze bezeichnete?

Wulz: Gar nicht.Emanzipation ist ein positiv besetzter Begriff.
Rauch-Kallat: Die Emanzipation ist das Wichtigste in einer Bürgerrechtsbewegung. Beginnend in den Vereinigten Staaten, mit dem Kampf der Sklaven um ihre Freiheit. Und Emanzipation ist auch im Kampf der Geschlechter unverzichtbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31. Juli 2011)

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