Die Chemie im Wiener Rathaus: Machtfaktor Sympathie

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Am 11. Oktober wird die SPÖ mindestens einen Partner brauchen. Dann entscheiden nicht nur Interessen und Verhandlungsgeschick, sondern auch die Chemie.

Wien. Zwischenmenschliche Schwingungen können gravierende Auswirkungen haben. Es war 2010, als die damalige Wiener ÖVP-Chefin, Christine Marek, nach der schwersten Niederlage in der Geschichte ihrer Landespartei selbstbewusst in das Büro von Bürgermeister Michael Häupl ging. Und ihm die schwarzen Forderungen (Jobs, Ressorts, Geld) auf den Tisch knallte. Häupl, der mit der eher emotionalen Christine Marek persönlich nie viel anfangen konnte, servierte den logischen Regierungspartner ab: nicht nur wegen der damaligen internen ÖVP-Turbulenzen, sondern auch wegen Mareks Auftritt. Häupl war eben genervt. Die Folge: Es kam – überraschend – zur ersten rot-grünen Landeskoalition in Österreich.

Diese Geschichte, die zumindest so im Rathaus erzählt wird, bedeutet für den 11. Oktober: Wenn die SPÖ (mindestens) einen Koalitionspartner benötigt, muss dessen Chef mit Häupl auch auf der persönlichen Ebene können – womit interessante Situationen entstehen. Michael Häupl und Manfred Juraczka wurden schon öfter beim entspannten Gespräch im Rathaus gesehen. Gelegentlich treffen sich beide bei einem Wirten, um zu plaudern. Der Humor der beiden sei ähnlich, ist zu hören.

Persönliche und fachliche Ebene

Auf politischer Ebene gibt es aber Dissonanzen. Er streite lieber über Straßen als über die Bildung, hatte Häupl mehrfach erklärt. Aber die ÖVP wäre, um den Sprung in die Regierung zu schaffen, sehr flexibel und auch „günstig zu haben“, gibt man in ÖVP-Kreisen zu. Denn der mächtigste ÖVP-Flügel (Wirtschaftsbund) macht in Bezug auf eine Regierungsbeteiligung enormen Druck. Nur: Die ÖVP muss erst einmal ein brauchbares Ergebnis einfahren. Bei Umfragewerten im einstelligen Bereich ist das schwer möglich.

Anders die Situation bei „Michi und Mary“, wie das Duo Häupl/Vassilakou in rot-grünen Kreisen gern genannt wird. Beide hatten von Beginn an ein gutes, aber kein herzliches Verhältnis. Man ist per Du, lachte bei Verhandlungen durchaus miteinander, hielt regelmäßige Treffen im Rathaus, aber nicht im privaten Rahmen ab. Nach Reibereien verschlechterte sich die Beziehung dramatisch, nachdem die SPÖ einen grünen Gemeinderat abgeworben hatte, um eine Wahlrechtsreform zu verhindern, welche die Grünen gegen die SPÖ durchbringen wollten. Die Koalition ist daran knapp nicht gescheitert, es sind allerdings Wunden geblieben. Inhaltlich gibt es (abgesehen vom Lobau-Tunnel) aber wenig Differenzen.

Die Presse

Strache für Häupl ein „Fremder“

Zu Heinz-Christian Strache hat Häupl persönlich gar kein Verhältnis. Der FPÖ-Chef ist nie im Rathaus zu sehen, steuert die Stadt-FPÖ vom Parlament aus, weshalb sich nicht einmal ein zufälliges Gespräch ergibt. Mit Strache-Statthalter Johann Gudenus, der Häupl als „Türkenbürgermeister“ bezeichnet hat, ist der SPÖ-Chef demonstrativ per Sie. Unter Häupl wird es bekanntlich auch keine Koalition mit der FPÖ geben.
Auch Beate Meinl-Reisinger, die bisher im Parlament und nicht im Rathaus war, gilt: Es gibt fast keinen persönlichen Kontakt zu Häupl (auf einen Kaffee war man aber schon). Weder mit der angriffigen Art der Neos noch deren grundsätzlich wirtschaftsliberalen – wenn auch inzwischen abgesofteten – Ausrichtung kann die SPÖ viel anfangen.

Was das für Koalitionen bedeutet? Geht es sich rechnerisch aus, sind die Chancen von Rot-Grün und Rot-Schwarz 50 zu 50. Auch, weil die SPÖ gespalten ist. In roten Bezirksorganisationen haben Rot-Grün-Gegner nun die Mehrheit, die Befürworter dominieren das Rathaus (Stadträte, Gemeinderat). Geht sich Rot-Schwarz nicht aus, wird es Rot-Grün II geben – hatte Häupl doch einst gemeint: „Es ist wie im Privatleben. Zweierbeziehungen sind schon schwierig genug, da werde ich keine Dreierbeziehung anfangen.“

Ist sie notwendig, wäre die Kombination mit ÖVP und Neos insgesamt am konfliktärmsten – kommt die Neos-Chefin doch aus der Wiener ÖVP. Man kennt sich, und wirtschaftspolitisch steht man sich sowieso nahe. Wenn die SPÖ mit der ÖVP kann, kann sie auch mit den Neos. Und für eine Regierungsbeteiligung dürften diese nach mehreren verlorenen Wahlen auf (für die SPÖ inakzeptable) Forderungen wie Privatisierungen „vergessen“.

Gesellschaftspolitisch harmonieren die Neos dafür deutlich besser mit SPÖ und Grünen. Die Wirtschaftsliberalität der Neos wird aber sowohl von den Grünen als auch von der SPÖ vehement abgelehnt. Trotzdem haben Grüne und SPÖ mit dem Neos-Vorgänger, dem Liberalen Forum, in Wien konstruktiv kooperiert. Und atmosphärisch dürfte es zwischen Vassilakou und Meinl-Reisinger nicht derartige Probleme geben wie bei Rot-Grün-Schwarz. Zwar würden hier etablierte, berechenbare Parteien zusammentreffen – Juraczka und Vassilakou können aber aufgrund einer sehr unterschiedlicher Persönlichkeit nicht besonders gut miteinander. Anders formuliert: Sie mögen sich nicht besonders.

Da aber alle regieren wollen, gilt im Falle einer Dreierkoalition, dass Häupl sich zurücklehnen kann und ihnen nur eine Frage stellen muss: „Wer gibt's am billigsten?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 3. Oktober 2015)

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