EuGH verbietet EU Beitritt zur Menschenrechtskonvention

Gerichtshof der Europäischen Union
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Die Union verkenne mit ihren Plänen, der Menschenrechtskonvention beizutreten, ihr eigenes Wesen, sagt der EU-Gerichtshof. Vor allem sieht er sich gegenüber dem Gerichtshof für Menschenrechte zurückgesetzt.

Die Bemühungen der EU, der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten, stoßen auf eine neue Hürde. Der Gerichtshof der EU (EuGH) in Luxemburg stellt in einem heute veröffentlichten Gutachten fest, dass der vorliegende Entwurf eines Beitrittsvertrags das Wesen der Union verkenne. Unter diesen Umständen sei der Entwurf nicht mit den Bestimmungen des Unionsrechts vereinbar. Will die Union an dem Vorhaben festhalten, muss sie also den Entwurf noch in wesentlichen Punkten nachbessern. Das Hauptproblem liegt für den EuGH darin, dass er gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in mehrerlei Hinsicht zurückgesetzt würde.

Menschenrechte sind Teil des Unionsrechts

Der EGMR hat seinen Sitz in Straßburg und wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch alle ihre 47 Mitglieder. Darunter sind auch sämtliche EU-Staaten. Diese haben am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon nicht bloß die EU-Grundrechtecharta für verbindlich erklärt; sie haben sich auch darauf geeinigt, dass die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind. Zugleich wurde der Beitritt der Union zur EMRK beschlossen. Und daran kiefeln die juristischen Experten bis heute und wohl noch geraume Zeit.

Kompetenzgrundlage geschaffen

Zwar stellt der EuGH in seinem von der EU-Kommission beantragten Gutachten fest, dass die Union nunmehr die Befugnis hat, der EMRK beizutreten. In einer früheren Expertise zum Stand des Unionsrechts 1996 hatte der Gerichtshof der Union rundweg die Kompetenz zu einem solchen Schritt abgesprochen. Heute wäre die Union dazu immerhin in der Lage; sie muss aber noch den Entwurf über die Beitrittsübereinkunft ändern.

Externe Kontrolle darf nicht EU-Recht betreffen

Wer der EMRK beitritt, unterwirft sich der Rechtsprechung des Straßburger EGMR. Im Fall der Union ist das aber deshalb problematisch, weil diese ihr eigenes europäisches Höchstgericht hat, eben den EuGH. Laut dessen Diagnose kann jedoch die externe Kontrolle „nicht für die Auslegung des Unionsrechts, einschließlich der Charta, durch den Gerichtshof“ der EU gelten.  Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der EU-Verträge dürften nicht anders als in den Verträgen vorgesehen geregelt werden. Doch der Beitrittsentwurf sieht die Möglichkeit für die Union oder die Mitgliedstaaten vor, den EGMR mit einem Ersuchen zu befassen, das den Vorwurf einer Verletzung der EMRK durch einen EU-Staat oder durch die Union zum Gegenstand hat. Von dieser Möglichkeit müssten laut EuGH Streitigkeiten ausgeschlossen werden, die das Unionsrecht betreffen. Für dessen Auslegung ist ja der EuGH in letzter Instanz zuständig.

Sorge um Vorabentscheidungsverfahren

Auch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, den EGMR um Gutachten über die Auslegung der Menschenrechtskonvention zu ersuchen, würde den EuGH unzulässig in seinen Rechten beschränken: Solche Gutachten könnten nämlich die Autonomie und die Wirksamkeit von Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigen, mit denen der EuGH verbindlich über die Auslegung von EU-Recht entscheidet.

Mehr Befugnisse als der EuGH

Der EuGH kritisiert in dem Gutachten auch, dass in dem Entwurf keine Abstimmung zwischen der EMRK und der EU-Grundrechtecharta vorgesehen ist. Und er stößt sich daran, dass dem EGMR eine Kompetenz zukommen soll, die ihm, dem EuGH, ausdrücklich vorenthalten wurde: nämlich die gerichtliche Kontrolle im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Union. Bestimmte Handlungen im Rahmen der GASP sind der Kontrolle durch den EuGH entzogen. Im Fall des Beitritts, wie er im Entwurf vorgesehen sei, wäre der EGMR jedoch ermächtigt, auch über die Vereinbarkeit bestimmter solcher Handlungen, Aktionen oder Unterlassungen zu entscheiden. Das liefe laut EuGH darauf hinaus, die Kontrolle in diesem Bereich ausschließlich einem unionsexternen Organ zu überlassen.

In Anbetracht all dieser Probleme kommt der EuGH zum Schluss, dass der Entwurf der Übereinkunft über den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Ein Beitritt kann demnach nur dann erfolgen, wenn der Entwurf entsprechend geändert wird.

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