Familienbeihilfe ins Ausland: Auch ein Zuviel diskriminiert

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EU-Freizügigkeit. Wer meint, die Familienbeihilfe dürfe nicht von den Lebenshaltungskosten für das Kind abhängen, verkennt ihren Sinn.

Wien. Als unlängst nach einer Aussendung des Familienministeriums bekannt wurde, dass rund 200 Millionen Euro Familienbeihilfe für in anderen EU-Ländern lebende Kinder gezahlt werden (insbesondere Ungarn, Slowakei, Polen, Rumänien), verlangte Außenminister Sebastian Kurz eine Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten in den Ländern, in denen die Kinder leben. Dabei würde das Einsparungspotenzial natürlich deutlich unter dem Betrag von 200 Millionen Euro liegen. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in anderen Ländern.

Othmar Karas reagierte als EU-Abgeordneter ablehnend, verwies auf das Diskriminierungsverbot und ergänzte: „Wenn ich gleich viel Sozialleistungen einzahle, dann sollte ich auch die gleichen Leistungen bekommen.“ Man könne nicht einfach die Sozialleistungen von manchen EU-Bürgern kürzen, von anderen nicht, argumentierte Karas.

Seine Einschätzung, dass eine Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten diskriminierend und deshalb EU-widrig wäre, kann angezweifelt werden. Jedenfalls ist die entsprechende EU-Verordnung, die den Anspruch auf Familienbeihilfe für ein in einem anderen Mitgliedstaat lebendes Kind begründet, nicht in Stein gemeißelt; sie stammt aus dem Jahr 2004, also aus einer Zeit, in der für die genannten Länder noch keine Arbeitnehmerfreizügigkeit bestand. Daher bestand auch das Problem der Familienbeihilfe, wie es sich heute darstellt, nicht.

Ein Beitrag zum Unterhalt

Sinn der Familienbeihilfe ist es, einen Beitrag zu den Unterhaltskosten eines Kindes zu leisten; daher kann sich die Höhe der Familienbeihilfe nach ihrem Sinn nur nach den Kosten dort richten, wo das Kind lebt. Wenn daher zum Beispiel ein in Österreich berufstätiger Rumäne für seine in Rumänien lebenden Kinder hier Familienbeihilfe bezieht, die ausgezahlte Familienbeihilfe aber nicht dem Umstand Rechnung trägt, dass in Rumänien die Lebenshaltungskosten einen Bruchteil jener in Österreich betragen, dann gehören die Grundlagen für die Familienbeihilfe entsprechend ihrem Sinn geändert.

Ungleiches gleich behandelt

Soweit dagegen Karas meint, dass eine – nach den Lebenshaltungskosten unterschiedliche – Familienbeihilfe diskriminierend wäre, dann negiert er den Sinn der Familienbeihilfe. Denn es ist eher umgekehrt diskriminierend, wenn trotz der höheren Lebenshaltungskosten für ein in Österreich lebendes Kind gleich viel Familienbeihilfe bezogen wird wie für ein in Rumänien lebendes Kind. – Diskriminierend deshalb, weil Ungleiches gleich behandelt wird.

Es ist ja auch nicht diskriminierend, wenn etwa ein Bauunternehmer an die in Rumänien beschäftigten Bauarbeiter einen anderen Lohn zahlt als an die in Österreich.

Noch diskriminierender erscheint die Situation aus der Sicht der in Rumänien lebenden Kinder: Denn wie lässt es sich rechtfertigen, dass ein Kind in Rumänien nur deshalb eine um ein Vielfaches höhere Familienbeihilfe begründet, weil sein Vater in Österreich arbeitet, gegenüber einem Kind, dessen Vater in Rumänien arbeitet.

Auch aus der Sicht der EU erscheint das Ergebnis wirtschaftspolitisch mehr als problematisch, wenn Arbeitsplätze in anderen Mitgliedstaaten infolge staatlicher Beihilfen attraktiver sind als im eigenen Land, und damit durch Beihilfen in einem anderen Staat gerade qualifizierte Arbeitskräfte dem eigenen Staat entzogen werden.

Selbst der EU ist eine Differenzierung nach den Lebenshaltungskosten in den Mitgliedstaaten keineswegs fremd: So etwa orientieren sich die Diäten für Dienstreisen der EU-Beamten selbstverständlich am Preisniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten. Warum hier eine Orientierung am Preisniveau der Mitgliedstaaten zulässig sein soll, bei der Familienbeihilfe aber nicht, das muss man erst erklären.

Zulässig wäre es dagegen, wenn die Familienbeihilfe für in anderen Ländern lebende Kinder mit der im eigenen Land bezahlten Beihilfe begrenzt wird. Daher spricht auch aus dieser Sicht nichts gegen eine Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem das Kind lebt. Daher besteht auch keine Sorge, dass zum Beispiel Rumänien für ein in Österreich lebendes Kind eine höhere Familienbeihilfe bezahlen müsste als im eigenen Land (das nur zur Klarstellung).

Dienstgeber und Fiskus zahlen

Unrichtig ist es schließlich, wenn Karas mit der Höhe der „eingezahlten Sozialleistungen“ argumentiert („wer gleich viel einzahlt, sollte auch die gleiche Leistung erhalten“). Erstens orientiert sich die Familienbeihilfe nicht an den eingezahlten Beträgen, und zweitens bezahlt auch der Dienstnehmer keinen Beitrag; vielmehr wird die Familienbeihilfe aus dem Familienlastenausgleichfonds bezahlt, der sich aus den Einzahlungen der Dienstgeber und aus Steuermitteln finanziert.

Die Sachgerechtigkeit der Familienbeihilfe ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Einrichtung. Das ist ein Beitrag zu den Unterhaltskosten des Kindes – dort, wo es lebt. Das allein muss der Maßstab für eine Neuregelung sein. Wer anderes fordert, erweist der Sache keinen guten Dienst; für parteipolitisches oder gar rechtspopulistisches Gezänk ist hier kein Raum.


Em. Univ.-Prof. Werner Doralt war Vorstand des Instituts für Finanzrecht der Uni Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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