Eherecht: Keine Pflicht zum zweiten Kind

(c) Clemens Fabry
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Eine Frau, bei der 50 Prozent Wahrscheinlichkeit besteht, dass auch das zweite Kind mit einer Krankheit geboren wird, muss keines mehr bekommen. Dies stellt keine Eheverfehlung dar.

Wien. Ist eine Ehe am Ende, geht es im Fall eines Prozesses regelmäßig um die Frage, wer schuld am Scheitern der Beziehung ist. Davon hängen unterhaltsrechtliche Folgen ab. Schuld kann auch dann vorliegen, wenn ein Partner sich im Gegensatz zum anderen der Fortpflanzung verweigert. In einem aktuellen Fall galt es nun zu klären, ob eine Frau schuld am Scheitern der Ehe ist, weil sie kein zweites Kind mehr bekommen wollte.

Das Migrantenpaar hatte die Ehe in Bangladesch geschlossen. Da beide österreichische Staatsbürger sind und in Wien wohnen, kam aber heimisches Eherecht zur Anwendung. Hauptstreitpunkt in der Ehe war die Frage, ob man noch ein Kind bekommt. Das erste leidet an Mukoviszidose, einer nicht heilbaren Erbkrankheit. Schon zwei Mal drohte die Tochter zu ersticken, drei Mal schon musste sie operiert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zweites Kind des Paares mit dieser Krankheit zur Welt kommt, liegt bei 50 Prozent. Die Frau wollte deswegen keinen weiteren Nachwuchs mehr, der Mann schon. Schließlich begehrte die Frau die Scheidung.

Er mache ihr wegen der Weigerung, ein Kind zu kriegen, stetig Vorwürfe und versuche, in stundenlangen Gesprächen auf sie einzuwirken, beklagte die Frau. Der Mann beschimpfe sie als psychisch krank, verbiete ihr, die Wohnung zu verlassen und mit anderen Leuten Kontakt zu haben. Das stimme nicht, entgegnete der Ehemann. Er habe zwar den Wunsch nach einem zweiten Kind geäußert, zumal es möglich wäre, dass es gesund werde. Er habe die Frau aber nie unter Druck gesetzt. Diese aber habe sich ohne sein Wissen sterilisieren lassen, meinte der Mann. Die Frau habe Streit vom Zaun brechen wollen und sei grundlos ins Frauenhaus gegangen.

Die behauptete Sterilisation fand gar nicht statt, konstatierte das Bezirksgericht Donaustadt. Es schloss aber aus dieser Behauptung des Mannes, dass sein „einziges Bestreben darin lag, „ein weiteres Kind zu bekommen“ und es „für ihn nicht verständlich war“, wieso die Frau nicht schwanger wurde. Das Gericht gab das Alleinverschulden am Ende der Ehe dem Mann, der gezielten psychischen Druck auf die Frau ausgeübt habe, damit sie ein Kind bekomme.

Der Frau könne die „Verweigerung der Fortpflanzung auch nicht als Eheverfehlung entgegengehalten werden“, meinte das Gericht. Sie habe sich auf triftige Gründe, nämlich ein gesundheitliches Risiko für das Kind gestützt.

„Dominant und respektlos“

Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen bestätigte das Urteil. Der Mann sei jahrelang „dominant und respektlos“ mit seiner Frau umgegangen. Er trage die Schuld an der Scheidung. An der Weigerung der Frau, ein Kind bekommen zu wollen, fand das Landesgericht nichts auszusetzen.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) verwies darauf, dass in der juristischen Wissenschaft die Meinung vertreten wird, dass die Weigerung, weitere Kinder zu bekommen, eine „scheidungsrelevante Eheverfehlung“ bildet. Es gebe aber auch gegenteilige Ansichten unter Juristen. Doch „auch wenn man davon ausgehen wollte, dass die Verweigerung, weitere Kinder bekommen zu wollen“, eine Eheverfehlung sei, könne der Mann daraus nichts gewinnen, befanden die Höchstrichter (9 Ob 29/15b): weil nämlich „triftige Gründe wie etwa gesundheitliche Risken für das Kind den Scheidungsgrund ausschließen können“.

Die Frau habe mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, dass ein weiteres Kind auch mit derselben Erkrankung auf die Welt komme. In diesem Fall könne die Weigerung, ein weiteres Kind zu bekommen, nicht als schwere Eheverfehlung angesehen werden, sagt der OGH. Der Mann wird somit schuldig geschieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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