Experte warnt: Ärzte nicht zu Tat provozieren

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Mystery Shopping unterliegt weniger strengen Kriterien als die Strafverfolgung.

Wien/Gmunden. „Das ist unstimmig.“ So fasst Alois Birklbauer, Professor für Strafrecht an der Uni Linz, im Gespräch mit der „Presse“ einen Vergleich der Regeln für Mystery Shopping in Arztpraxen mit der Strafprozessordnung zusammen. Um einen Gleichklang des neuen Instruments für die Sozialversicherungsträger mit den erst jüngst nachgeschärften Kriterien für die Strafverfolgung zu erzielen, müssten die Kontrollore der Kassenärzte vor allem eines beachten: Sie dürften die Ärzte nicht zu Straftaten provozieren.

Verstoß gegen die Fairness

Die von den Kassen ausgesandten Scheinpatienten sollen vor allem unrichtige Krankenstandsbestätigungen und Malversationen aufdecken, bei denen Leistungen nicht oder nicht im abgerechneten Ausmaß erbracht werden. Würden Ärzte aber nicht bloß dabei beobachtet, sondern sogar dazu angestiftet, stünde dies in Kontrast zu dem von der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotenen fairen Verfahren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat 2014 in einem deutschen Fall (54648/09) entschieden, dass es bei staatlicher Tatprovokation nicht ausreicht, den Täter milder zu bestrafen; vielmehr sei ein Verbot angebracht, solcherart erlangte Beweise zu verwerten. Der österreichische Gesetzgeber geht, wie Birklbauer am Samstag beim Gmundner Medizinrechts-Kongress 2016 erläuterte, noch einen Schritt weiter: Er verbietet ab 1. August überhaupt jegliche Verfolgung eines Beschuldigten wegen einer Tat, zu der er von Ermittlern verleitet wurde.

Eine solche Konsequenz fehlt beim Mystery Shopping in Arztpraxen. Um im Zusammenhang mit möglichen Straftaten der Fairness dennoch Rechnung zu tragen, rät Birklbauer den Scheinpatienten der Kassen, die Kriterien des EGMR für eine unzulässige Tatprovokation zu beachten: Sie dürften keinen Druck auf den Arzt ausüben, etwa indem sie trotz dessen Ablehnung auf Malversationen insistieren oder indem sie mitleidserregende Tatsachen vorspiegeln. (kom)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2016)

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