Terrorbekämpfung: Landesverteidigung auch im Inland möglich

Soldaten vor der britischen Botschaft in Wien: ein Assistenzeinsatz des Heeres für das Innenministerium.
Soldaten vor der britischen Botschaft in Wien: ein Assistenzeinsatz des Heeres für das Innenministerium.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Angesichts neuer Gefährdungen beschränkt sich militärische Landesverteidigung nicht auf die Abwehr kriegerischer Bedrohung von außen.

Wien. Mittlerweile steht das Bundesheer bei Politik und Bevölkerung wieder hoch im Kurs. Es ist evident, dass die Polizei nicht die Ressourcen hat, die Flüchtlingsströme (oder die „Migrationslage“, wie es im Bundesheerdeutsch heißt) zu bewältigen, weil sonst die Beamten auf der Straße und zur Kriminalitätsbekämpfung fehlen würden. Nun stehen Soldaten sogar als „Wach- und Schließgesellschaft“ im Auftrag des Innenministers vor Botschaften in Wien und sollen so in nur zehn Tagen 4400 Stunden für die Kriminalitätsbekämpfung „freigespielt“ haben, wie der Verteidigungsminister stolz berichtet. All das sind freilich sicherheitspolitische Assistenzeinsätze (Art 79 Absatz 1 Z 1 B-VG), die nicht Kernaufgabe des Bundesheers sind und bei denen das Heer lediglich als „verlängerter Arm“ der Polizei auftritt; die Polizei gibt vor (und das ist auch gut so!), welchen Auftrag und welche Befugnisse (z. B. Waffengebrauch) das Heer hat.

Was aber, sollte das von der Nahostexpertin Karin Kneissl gezeichnete Schreckensszenario „gefechtsähnlicher Situationen in Europa“ tatsächlich Realität werden? Darf das Heer dann einschreiten? Ja, wird das Gros der Experten antworten, um gleichzeitig mit erhobenem Zeigefinger einzuschränken: aber natürlich nur als Hilfsorgan der Polizei und nicht im Rahmen seiner ureigensten Aufgabe, der Militärischen Landesverteidigung (MLV). Schließlich wäre die Sicherheit im Inneren immer noch der Polizei vorbehalten. MLV wäre nur die Abwehr kriegerischer Bedrohung von außen. Aber kann man das heute angesichts neuer, asymmetrischer Bedrohungen noch so unterscheiden?

Schutz kritischer Infrastruktur

Wer hat das Sagen, wenn es um den Schutz kritischer Infrastrukturen durch das Heer im Zuge terroristischer Bedrohungen geht, das dafür mittlerweile selbstständige Milizeinheiten aufgestellt hat: Polizei oder Bundesheer? Gilt das Sicherheitspolizeirecht mit all seinen Einschränkungen, oder kann das Heer auch „im Inneren“ im Rahmen der MLV einschreiten?

Die Antwort muss differenziert ausfallen. Falsch wäre jedenfalls zu behaupten, das Heer wäre ausschließlich für den „Schießkrieg“ zuständig. Der Verfassungsjurist Peter Pernthaler hat schon 1970 beklagt, der klassische Kriegsbegriff wäre nicht mehr zeitgemäß. Das gilt heute umso mehr: Gegner der westlichen Demokratien sind nicht die Panzer des Warschauer Pakts. Der Krieg findet nicht mehr zwischen Territorialstaaten, sondern mit Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) statt. Der IS kämpft, wie die großen Terroranschläge von Paris und Brüssel zeigen, militärisch ausgebildet, organisiert und ausgerüstet.

Hat sich dieser Wandel im Begriff der MLV niedergeschlagen? Oder gilt es, die Zuständigkeiten zwischen Polizei und Bundesheer neu abzustecken? Muss gar die Verfassung geändert werden?

Nein, eine Neuordnung der Kompetenzen ist nicht erforderlich. MLV ist nicht nur die Abwehr von äußeren Gefahren, sondern kann auch Vorgänge im Staatsinneren erfassen. Sicherlich dachte der historische Gesetzgeber dabei in den Zeiten des Kalten Kriegs an guerillamäßige Angriffe von Spezialeinheiten ausländischer Streitkräfte oder Akte des Staatsterrorismus. Trotzdem kann der IS-Terror einzelfallbezogen einen Einsatz des Heeres in der MLV rechtfertigen. Worauf es nämlich ankommt, ist, ob terroristische Akte so massiv gesetzt werden, dass sie mit einem militärischen Angriff im Sinn der oben erwähnten Guerilla-Kriegsführung gleichgehalten werden können, ob die Terroristen militärisch organisiert und ausgebildet sind und ob es sich um rein innerstaatliche Vorgänge handelt oder ein Außenbezug vorhanden ist, wie dies beim IS zutrifft.

All das schafft eine Ausgangslage, die mit jener vergleichbar ist, die der historische Gesetzgeber vorfand und zum Inhalt der MLV machte. Somit geht es bei der Beurteilung darum, ob Terroranschläge in qualitativer und quantitativer Hinsicht in einer Einzelfallbeurteilung einem militärischen Angriff gleichzuhalten sind, weil sie die Souveränität Österreichs zur Gänze oder teilweise bedrohen, und deshalb eine Reaktion mit militärischen Mitteln gerechtfertigt ist. Denn wo soll der Unterschied zwischen den oben erwähnten Guerillas und Staatsterroristen auf der einen und dem IS auf der anderen Seite liegen? In beiden Fällen geht es um systematische Angriffe gegen eine staatliche Organisation mit hoher Intensität, die den Staat treffen sollen.

Ein Fall wie Nizza ist Polizeiaufgabe

Das heißt aber nicht, dass jeder Anschlag des IS den Einsatz militärischer Gewalt gebietet. Der Terroranschlag von Nizza beispielsweise wird, mag er auch äußerst tragische Folgen gehabt und sich gegen Frankreich als Staat gerichtet haben, kein Einschreiten im Rahmen der MLV rechtfertigen, weil er räumlich und umfänglich zu begrenzt war; das ist eine Polizeiaufgabe. Anderes gilt, wenn eine Vielzahl derartiger Aktionen gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang gesetzt worden wäre, sodass man von flächigen Angriffen auf den Staat ausgehen könnte. Auch die Anschläge in Paris und Brüssel waren schon so massiv, dass man bei vergleichbarer Intensität einen Fall der MLV sehen kann.

Die Unterscheidung wird in der Praxis nicht einfach sein: Terroranschläge können etwa in der Anfangsphase rein sicherheitspolizeiliche Vorgänge darstellen. Bei zunehmender Stärke kann daraus ein Fall der MLV werden, der wiederum bei abnehmender Intensität zu einer Polizeiaufgabe wird. Fingerspitzengefühl ist daher gefragt.


Priv.-Doz. Dr. Bernhard Müller wurde 2009 an der Uni Wien für „Öffentliches Recht“ habilitiert und ist Milizoffizier; er gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

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