Als man zum Schutz der Zähne Unkraut kaute

A member of a pygmy community pauses for a portrait on her way to the fields in eastern Congo
A member of a pygmy community pauses for a portrait on her way to the fields in eastern Congo(c) REUTERS (FINBARR O´REILLY)
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Vor 9000 Jahren ernährten sich Jäger und Sammler im heutigen Sudan auch von einer Pflanze, Zyperngras. Das nutzten ihre Erben noch, als sie längst Bauern waren: Es half gegen Karies.

Ein Zyperngras, Cyperus rotundus, gilt als „das schlimmste Unkraut der Welt“, so stand es in den 1970er-Jahren in einem Buch über die Plagen der Landwirtschaft. Na ja, ein Unkraut ist einfach etwas, was – in den Augen der Menschen – zur falschen Zeit am falschen Ort wächst: Heute stört das Zyperngras in über 92 Ländern, weil es gern auf Felder vordringt und dann kaum mehr wegzubringen ist, man muss es mit den Händen ausreißen. Früher einmal taten Menschen das gern, sie wussten das Gras – bzw. die Knollen an seinen Wurzeln – zu schätzen, das zeigte sich jetzt in Al Khiday 2, einem prähistorischen Friedhof am Weißen Nil im heutigen Sudan, dort wurden vor 9000 Jahren die ersten Toten bestattet, vor 2000 Jahren die letzten.

Wie haben sie gelebt, was haben sie gegessen? Am Anfang waren sie Jäger und Sammler, später wurden sie Bauern. Und von dem, was sie ganz äußerlich hinterlassen haben – Gräten etwa und Knochen, auch als Grabbeigaben –, ging man lang davon aus, dass sie sich am Anfang vor allem von Jagd und Fischfang ernährten, das passt zu dem in Mode gekommenen Bild der Paleo-Diät. Aber dafür sprechen eben nur die äußerlichen Zeugen, pflanzliches Material bleibt in der Umwelt – gar im Klima von Al Khiday 2 – weniger leicht erhalten. Um es zu finden, muss man schon mit feinsten Werkzeugen in die Tiefe schauen, in die des Zahnsteins.

Zahnstein als Ernährungsarchiv

Der bildet sich aus der Plaque, die wir jeden Morgen und jeden Abend bestmöglich wegputzen, vor 9000 Jahren war das nicht so einfach, vor 2000 auch nicht: Zahnstein haben sie, die alten Zähne, Karies hingegen haben sie fast keinen. Das erwartet man bei Jägern und Sammlern auch nicht, bei Bauern schon: Der erste Schub dieser Plage kam mit der Neolithischen Revolution, in der Gräser domestiziert wurden – zu Getreide –, ihre Kohlenhydrate bildeten bald den Hauptbestandteil der Nahrung, aber sie wurden nicht nur von Menschen geschätzt, sondern auch von Bakterien, vor allem von Streptococcus mutans, es frisst die Zähne an. (Ein zweiter, stärkerer Kariesschub kam im 19. Jahrhundert mit dem raffinierten Zucker).

Warum hatten diese frühen Menschen kaum Karies, auch als sie Bauern geworden waren? Das verrät ihr Zahnstein, eine Gruppe um Haren Hardy (Universitäten Barcelona und York) hat den von 19 Individuen mit den feinsten Methoden analysiert, etwa mit dem Mikroskop: Das zeigte viele Körnchen, zunächst die von Sand und anderem Schmutz, der beim Verzehr von Wurzeln in den Mund kommt; dann die von Ruß, viele Speisen waren offenbar geröstet worden, das bestätigten in chemischen Analysen der Zähne – mit Gas-Chromatografen – auch andere Zeugen von Feuer, bestimmte Kohlenwasserstoffe.

Dann gab es natürlich noch Körnchen von Stärke, vor allem von der des Zyperngrases. Es ist eine gute Quelle von Kohlehydraten, heutigen Menschen schmeckt es nicht, vielleicht war das damals anders, vielleicht haben sie die Knollen auch nur gekaut und allzu bittere Teile ausgespuckt. Wie auch immer: Zyperngras gehörte in viele antike Apotheken, es wurde gegen vieles verordnet, und im Labor zeigte sich, dass es auch gegen das Kariesbakterium wirkt. Vielleicht sind die von Khiday 2 deshalb auch noch als Bauern bei der Speise geblieben (PLoS One, 16.7.). In jedem Fall zeugen die Einlagerungen im Zahnstein, dass diese Menschen „ein breites ökologisches Wissen hatten und sich ausgiebig an Pflanzen bedienten“, schließt Hardy.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2014)

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