Die Grenzen des Lebens

In Tiefseevulkanen wie diesem – aus der Doku „Aliens of the Deep“ – liegt alles Lebensnotwendige bereit: Material, Membran, Energie.
In Tiefseevulkanen wie diesem – aus der Doku „Aliens of the Deep“ – liegt alles Lebensnotwendige bereit: Material, Membran, Energie.imago stock&people
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Leben braucht nicht nur Biomoleküle wie DNA und Proteine, es braucht auch Hüllen, die alles zusammenhalten. Beides gab es in Tiefseevulkanen.

Am Anfang war – die Grenze: Erst schied Gott „zwischen dem Licht und der Finsternis“, dann schied er „zwischen den Wassern unterhalb des Firmaments und den Wassern oberhalb des Firmaments“, erst dadurch kam Struktur und Inhalt in das, was zuvor Chaos war, „wüst und leer“ (Genesis 1, 4 ff.). Das war der wahre Schöpfungsakt, und auf seinem Prinzip baut das Leben auf, wo immer man hinschaut. Wir alle sind im Uterus in der Hülle der Plazenta herangereift, und seitdem stecken wir in unserer Haut, sie hält uns zusammen, sie verleiht uns Identität und Individualität: Ich.

Aber wir entwickeln uns erst in der Auseinandersetzung und im Austausch mit der Außenwelt: Grenzen sind oft fließend – wo endet das Licht, wo beginnt das Dunkel? –, an vielen herrscht reger Verkehr, durch die Plazenta fließt Nahrung herein und Müll hinaus, die Haut atmet und schwitzt. Was scheidet, verbindet auch, selektiv, darin könnte der Schlüssel zum Beginn des Lebens liegen: Dass „alle organischen Dinge, die je gelebt haben, von einer einzigen uranfänglichen Form abstammen“, vermutete Darwin. Beim Entstehungsort setzte er auf einen „kleinen warmen Teich“. Der war kaum hundert Jahre später da, in leicht abgewandelter Form, er war nicht warm, sondern heiß, kein Teich, sondern ein Kolben, natürlich auch nicht in der freien Natur, sondern in einem Labor der University of Chicago, in dem von Harold Urey.

Er war überzeugt, dass Chemie sich selbst beleben kann – „Biomoleküle“ bilden –, wenn sie nur in der richtigen Mischung der richtigen Umwelt ausgesetzt ist. Sein Student Stanley Miller probierte es 1953: Er mischte eine „Uratmosphäre“ – Methan (CH4), Ammoniak (NH3), Wasser (H2O), Wasserstoff (H2), in einer Variante war Schwefelwasserstoff (H2S) dabei –, leitete sie durch kochendes Wasser und schickte simulierte Blitze hindurch. Nach einer Woche hatte er Aminosäuren, darunter drei, aus denen die Natur Proteine baut. Sein Schüler Jeffrey Bard analysierte das Gebräu 2008 noch einmal, er fand auch eine schwefelhaltige Aminosäure – Methionin – und schloss daraus, dass das Leben an Vulkanen entstanden ist.

Bei den uns vertrauten Vulkanen wäre das unmöglich – die Biomoleküle würden sich verflüchtigen –, aber Vulkane brodeln auch auf dem Meeresgrund, aus ihnen schießen heiße Gase, H2S inklusive. Dort liegt alles auch für die Bildung der zweiten Bausteine des Lebens bereit, der Nukleinsäuren für DNA und RNA. Aber von Proteinen und DNA/RNA allein lebt das Leben nicht, die Bausteine müssen zusammengehalten werden, und das Werkel braucht Energie. Bei Urey/Miller war das einfach, der Kolben hielt zusammen, der Strom kam aus der Steckdose.


Wie aber und wo hat die Natur das „Konzentrationsproblem des Anfangs des Lebens“ gelöst, bei dem Biomoleküle dicht beieinanderbleiben mussten? In den Poren des Gesteins der Tiefseevulkane, vermutet Biophysiker Dieter Braun (München). Er hat das Geschehen im Labor simuliert: Aus dem Inneren der Vulkane schießt die Brühe mit 100, 120 Grad auch in das früher ausgeworfene Gestein, auch in seine Poren, das umgebende Meerwasser aber ist eiskalt. So ist eine Porenwand – die dem Meer zugewandte – kühler als die andere, an ihr sinkt das Wasser, an der anderen steigt es hinauf, es zirkuliert in Konvektion wie ein Paternoster. Und die Biomoleküle zirkulieren mit.

Konzentriert werden sie dadurch nicht, aber es gibt noch einen Effekt, Thermoporese: Moleküle wandern von der Wärme in die Kälte, in den Poren also quer, lotrecht zur Konvektion. Konzentriert werden sie dadurch wieder nicht. Aber beiden Effekten zusammen gelingt es: Aus der aufsteigenden Seite des Paternosters können auf jeder Station Moleküle aussteigen und quer hinüber zur absteigenden wandern. An deren unterem Ende sammeln sie sich. Dort kann das Leben beginnen, dort ist es zudem geschützt – auch vor UV-Strahlung, die eine Entstehung des Lebens oben auf der Erde eher verunmöglichte –, eben durch die Grenze, die mineralischen „Membranen“ der Gesteinsporen (Pnas, 104, S.9346).

Aber dort ist das Leben ja nicht geblieben, und was für Leben war das überhaupt, Darwins „uranfängliche Form“, die man heute Luca nennt – in Anlehnung an unsere Urmutter Lucy –, „last common universal ancestor“? Unter den Biomolekülen war wohl RNA das erste – es kann Information speichern wie DNA, es kann enzymatisch wirken wie Proteine. Bei den Lebensformen war man lange gewiss, dass Bakterien am Beginn standen. Das sind Einzeller ohne Zellkern, außer ihnen gab es später noch Ein- und Mehrzeller mit Zellkern, zusammen bildeten sie die zwei „Königreiche des Lebens“.

1977 kam ein drittes, Carl Woese entdeckte Lebewesen – „Archaea“ –, die aussahen wie Bakterien, aber partiell ganz anders gebaut waren, etwa in der Zellmembran. Aus der Differenz dieser Grenzen hat Nick Lane (University College London) nun die ganz frühe Geschichte rekonstruiert (PLoS Biology, 12.8.). Sie spielt wieder in Tiefseevulkanen. Wieder geht es um einen Gradienten, diesmal nicht einen der Temperatur, sondern einen der Protonen: Im Meerwasser sind viele – positiv geladen –, im Wasser in den Vulkanen sind wenige, dort herrschen negative Ladungen. Dort wandern Protonen hin. Und daraus zieht das Leben seine Energie: Die Protonen werfen auf mechanischen Wegen beim Passieren der Zellkraftwerke die Produktion von ATP in Gang, das ist der Energieträger aller Zellen.

Aber Protonen können nicht ewig in eine Richtung, sonst bricht der Gradient zusammen, sie müssen auch wieder weg. Das leistete Luca vermutlich passiv, mit einer extrem durchlässigen Membran, in die er sich in den Poren hüllte. Dann optimierten Bakterien und Archaea den Grenzverkehr – das Halten und Nutzen des Gradienten durch das Hineinlassen und Herauspumpen von Protonen –, sie taten es auf verschiedenen Wegen. So befreiten sie beide das Leben aus den Vulkanen und der Tiefe, es konnte hinauf, wo gerade Licht und Finsternis geschieden waren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

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