„Viele Daten sind unsichtbar“

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Stefanie Lindstaedt ist Geschäftsführerin des Know-Centers, das kommende Woche mit der I-Know die größte europäische Tagung für Wissensmanagement veranstaltet.

Die Presse: Sie beschäftigen sich seit 1991 mit dem Thema Wissensmanagement. Der Bereich hat sich seither mit dem Internet sehr verändert. War das für Sie absehbar?

Stefanie Lindstaedt: Nein, überhaupt nicht. Aber wir haben Wissensmanagement schon immer Bottom-up betrieben. Das verbindet sich jetzt mit den immer höher entwickelten Technologien zu einer sehr guten Symbiose. Vor 14 Jahren musste man das Ergebnis händisch einsortieren, das war eigentlich nicht machbar. Für Firmen war es zu viel Aufwand.

Vieles davon erleben wir inzwischen im Alltag ...

Genau, wir kennen vieles durch Google und Co. Aber unsere Herausforderungen sind andere. Wenn ich in meiner Organisation suche, weiß ich genau, da ist sicher etwas zu dem Thema, und ich möchte exakt das Richtige finden, während man bei Google oft froh ist, wenn man überhaupt etwas in der Richtung findet. Es ist sehr viel schwieriger, innerhalb der Organisationen Technologien zu entwickeln, die diesen Ansprüchen auch genügen.

Unternehmen sind ein Thema. Es gibt aber auch Forschungsarbeiten, die die Anwendung solcher Tools in der Politik behandeln.

Ich würde behaupten, dass viele Entscheidungen im Moment aus dem Bauch heraus getroffen werden. Die Frage ist, wie kann ich diese Perspektive vergleichen mit echten, realen Datensätzen. Was sagen andere dazu? Wie ist das Thema etwa im Web abgebildet? Das könnte eine objektivere Sichtweise darauf geben. Auch das ist natürlich nicht „die Wahrheit“. Viele dieser Daten sind unsichtbar, einfach durch ihre Menge. Jetzt ist die Frage, wie kann ich sie sichtbar machen, in einer Form, dass sie für den Menschen aufnehmbar sind.

Sie selbst forschen im Bereich Strategic Intelligence. Dabei geht es darum, dass man „schwache Signale“ aus sozialen Medien auswertet. Was ist damit gemeint?

Die Technologie entwickelt sich so rasant, dass ein einzelner Ingenieur nicht mehr in der Lage ist, immer vorn mit dabei zu sein. Wie können wir die Firmen davon informieren, was in ihrem Bereich läuft? Da kann ich nach Technologien suchen, lasse mir die Websites anzeigen, die sich damit befassen, schaue, ob ich nicht in Twitter-Streams Leute finde, die sich darüber unterhalten. Im Sinn von Competitive Intelligence kann ich das verwenden, um mir Firmen näher anzusehen. In welche Richtung entwickeln sich die, welche Technologien setzen die ein? Das sind Dinge, die ich über soziale Netzwerke abgreifen kann. Jede dieser Informationen ist ein schwaches Signal, wenn sich etwa Mitarbeiter über Stress mit bestimmten Projekten beschweren. Wenn das mit anderen Informationen zusammenpasst, habe ich etwas über das Unternehmen erfahren.

Der Bereich Big Data wird zum Teil als bedrohlich wahrgenommen. Ist das gerechtfertigt? Nehmen Sie darauf besonders Rücksicht?

Das ist ein wichtiger Bereich für die Tools, die wir anbieten. Wenn die Mitarbeiter kein Vertrauen in so ein System haben, weil sie Angst haben, dass sie dort bespitzelt werden, kann das nicht funktionieren. Im Moment entwickeln sich zwei Richtungen. Eine sagt: Nutzt alles, vernetzt euch, das bringt Synergien. Es gibt andere, die den abgeschotteten Weg gehen, die meinen, ihr dürft da überhaupt nichts posten, es ist alles geheim, die haben auch im Haus keine solchen Systeme. Diese beiden Richtungen gehen auseinander. Dabei ist das ja eine Frage der Inhalte, manche kann man freigeben, manche möchte ich für mich behalten. Wie kann ich das kontextualisieren? Auch die Wirkungsmechanismen den Benutzern klarmachen? Ein Spektrum mit abgestuften Möglichkeiten zu haben, das ist ein Thema, an dem wir forschen.

Sind die Nutzer gut genug informiert, um entscheiden zu können, was sie preisgeben? Verraten die Leute nicht auch unabsichtlich Dinge – Stichwort „schwache Signale“?

Ich glaube, es ist wichtig zu unterscheiden, habe ich personenbezogene Daten? Oder Daten über eine Fabrik? Da geht es rein darum, die Produktion zu verbessern. In vielen derartigen Situationen arbeiten wir. Dann gibt es die Information, was tue ich an meinem Arbeitsplatz. Da muss man aufpassen. Der korrekte und umsichtige Umgang mit all diesen Daten ist bei uns am Know-Center Voraussetzung.

Auf der I-Know wird auch eine Arbeit vorgestellt, mit der die Diagnose von Autismus über Daten aus einem Lernprogramm möglich sein soll. Das sind doch sehr persönliche Dinge?

Das sind Diagnose-Tools. Es gibt auch Tools, die erkennen, ob man Parkinson bekommt, rein über das Zittern in der Stimme. Wir arbeiten mit dem CBMed (Centre for Biomarker Research in Medicine, Anm.), dem Comet-Zentrum für Biomarker-Research zusammen, da wird es auch darum gehen, wie kann ich frühe Indikatoren finden, dass ein Kind Diabetes bekommen wird. Bei all diesen Dingen geht es darum, Daten zu haben, die ich in Beziehung setzen kann. Dann kann ich früher mit der Therapie beginnen.

Das können aber womöglich nicht nur die Forscher tun, auch Unbeteiligte. Birgt das auch ein Risiko?

Man kann jedes Werkzeug auch missbrauchen. Wir müssen den Menschen helfen, diese Dinge besser zu verstehen, damit sie sich eine Meinung bilden. Im Moment ist das ein Reflex: Alles, was Analyse ist, ist erst einmal schlecht. Ich glaube, dass man unheimlich viele interessante, tolle, lebensrettende, produktionsverbessernde Dinge damit erreichen kann, aber auch viel Unheil damit anrichten. Ich bin ja auch in EU-Gremien tätig, in denen man sich fragt: Wem gehören die Daten? Mir, oder dem, der sie gesammelt hat? Das ist eine rechtsstaatliche Entscheidung. Da ist die Rechtsstaatlichkeit hinter der Technologie her.

Sie sind jetzt seit 14 Jahren am Know-Center, leiten das Kompetenzzentrum. Seit 2001 veranstalten Sie die I-Know. Studiert haben Sie in Amerika. Warum Forschung, und nicht in die Wirtschaft?

Ich wollte nach Europa zurück, das war mein Hauptpunkt. Mir persönlich gefällt dieser Schnittpunkt zwischen Forschung und Wirtschaft. Die I-Know machen wir auch, um österreichischen Unternehmen Möglichkeiten aufzuzeigen. Deshalb holen wir Leute wie Viktor Mayer-Schönberger und Bernardo Huberman, um für die Firmen eine Vision aufzubauen.

AUF EINEN BLICK

Stefanie Lindstaedt ist seit 2001 am Know-Center in Graz tätig, das sie – so wie das Institut für Wissensmanagement der TU Graz – seit 2011 leitet. Lindstaedt studierte Computer Science an der TU Darmstadt und der US-University of Colorado und habilitierte sich an der TU Graz in Angewandter Informatik. Sie war die erste Frau an der Spitze eines Comet-Kompetenzzentrums in Österreich.

Comet (Competence Centers for Excellent Technologies) ist ein Programm der Bundesministerien für Verkehr, Innovation und Technologie sowie für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.

Die I-Know ist die größte Tagung zum Thema Wissensmanagement in Europa. Sie wird vom Know-Center und der TU Graz veranstaltet. Jedes Jahr kommen dazu über 450 Teilnehmer nach Graz. Die Felder sind Wissensgewinnung, Semantik, Informationsvisualisierung, visuelle Analyse und ubiquitäres Computing.

Neben Spezialvorträgen gibt es heuer auch eine Serie von Vorträgen („i-Praxis“), die sich speziell an die Wirtschaft richtet und Trends zu Big Data und Industry 4.0 aus diesem Blickwinkel betrachtet. Prominente Vortragende sind u.a. Bernardo A. Huberman von den HP Labs und der Big-Data-Experte Viktor Mayer-Schönberger. Das internationale Expertentreffen findet von 16.9. bis 19.9. im Messe-Congress Graz statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2014)

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