Reibungslehre: Sind wir nicht alle Tribologen?

(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
  • Drucken

Sobald zwei Dinge zusammenkommen, ist Reibung im Spiel. In Wiener Neustadt testen Forscher neue Materialien und Schmierstoffe, um Verschleiß zu verringern. Das soll Material, Kosten und Energie sparen.

Wer im Herbst auf nassem Laub ausrutscht, wird beim Fluchen wohl nicht an Tribologie denken. Dabei hilft das Wissen der Reibungslehre: Zwischen Blättern und Asphalt wirkt Wasser als Schmierstoff. Auch ein Ig-Nobelpreis ging heuer an eine Tribologieforschung. Die „Anti-Nobelpreise“ sollen erst zum Lachen, dann zum Nachdenken anregen und zeichneten eine japanische Studie über die Rutschfähigkeit von Bananenschalen aus.

„Bereits Leonardo da Vinci war Tribologe, der Reibungsversuche gemacht hat“, sagt der Geschäftsführer von AC2T, dem Kompetenzzentrum für Tribologie in Wiener Neustadt. 500 Jahre später gibt es noch immer genug zu erforschen: „Inzwischen berechnen wir die Reibung zwischen Millionen von einzelnen Atomen. Unser Rechencluster braucht dazu stündlich so viel Energie wie mehrere Einfamilienhäuser im Winter.“

„Schade, dass viele Leute Tribologie als nicht ernst zu nehmende Forschung sehen“, sagt Pauschitz. Er bemängelt, dass das Wissen für Reibung, Verschleiß und Schmierung in Österreich gering verbreitet sei. Während es etwa in England Tribologieprofessuren gibt, wissen hier junge Diplomingenieure oft nicht, was Tribologie bedeutet, da es in der Lehre kaum berücksichtigt wird. Bei AC2T arbeiten also Physiker, Chemiker, Maschinenbauer und Werkstoffwissenschaftler. „Dabei sind wir doch alle Tribologen“, sagt Pauschitz. „Niemand, der seine Brille putzt, würde dazu ein Sandpapier nehmen. Wenn die Hände unangenehm reiben, nimmt man Handcreme als Schmiermittel.“

Verschleiß in den Gelenken

Auch unser Körper ist von Reibung betroffen. Spürbar wird das etwa durch Schmerzen, wenn zum Beispiel Gelenke verschleißen. In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Regenerative Medizin der Donau-Uni Krems entwickelte das Tribologiezentrum eine einzigartige Methode, Reibung an biologisch aktivem Knorpel zu messen. Das geht nur im Labor, nicht direkt am Knie von lebenden Tieren oder Menschen.

Martin Jech, Forschungsbereichsleiter für Tribosystemdiagnose, erklärt: „Nimmt man einen Knorpel aus seiner natürlichen Umgebung, trocknet er sofort aus. Unter Belastung verliert das Knorpelmaterial Wasser wie ein ausgedrückter Schwamm, zusätzlich werden die Proteine des Knorpels umgewandelt.“ Erstmals gelang es, den Kontakt Knorpel gegen Knorpel in der eigenen Gelenksschmiere tribologisch zu untersuchen – am Beispiel von Rinderknorpeln.

„Jetzt können Mediziner testen, mit welchen Zusätzen der Gelenksflüssigkeit die Reibung vermindert wird“, so Jech. Auch bei der Verschleißmessung von künstlichen Hüftgelenken sind die Tribologen erfahren. „Wir finanzieren diese Forschung meist über EU-Projekte, da die österreichische Industrie in dem Bereich fast ausgestorben ist“, sagt Jech. In einem EU-Projekt wird untersucht, welche Materialien und Verschraubungen bei komplizierten Unterschenkelbrüchen zu weniger Reibung zwischen Draht und Knochen führen.

Doch zurück zur rutschigen Fahrbahn im Herbst. „Reibung fällt einem oft auf, wenn etwas nicht funktioniert, wenn es nicht ,geschmiert‘ läuft“, so Pauschitz. „Das ist beim Bremsen im Auto ebenso wie bei der Verwendung des falschen Schuhmaterials beim Tanzen.“ Jede Fortbewegung ist auf tribologische Effekte angewiesen, Verschleiß somit unvermeidbar.

„Würde man den Verschleiß von Pkw-Reifen auf Österreichs Straßen sammeln, könnte das jährlich einen Würfel mit 21 Metern Kantenlänge füllen“, rechnet der wissenschaftliche Leiter von AC2T, Friedrich Franek, vor: „Und all das geht in die Umwelt! Daher erarbeiten wir Materialien, die Verschleiß minimieren. Mit verbesserten tribologischen Systemen kann man Material, Energie und Kosten sparen. Würde man Reibungslehre konsequent in allen Produktionsketten einsetzen, schätzen wir, dass allein in Österreich jährlich zehn Milliarden Euro einzusparen wären. Dazu kommen die positiven Effekte für Umwelt und Klima.“

In den Hightechlabors wurde nun gemessen, welchen Einfluss Biokraftstoffe auf den Verschleiß von Motorkomponenten haben. Der Verschleiß des Kolbenrings, der bei hoher Temperatur und hohem Druck gut dichten muss, stand dabei im Fokus. Undichte Stellen führen zur unerwünschten Mischung von Motoröl und Kraftstoff. Die Forscher testeten unterschiedliche Öl-Kraftstoff-Mischungen. „Interessanterweise erfährt der Kolbenring weniger Verschleiß, wenn ein höherer Anteil von Biodiesel im Motoröl zu finden ist. Daher ist Biodiesel weniger problematisch als normaler Diesel, was den Kolbenverschleiß angeht“, sagt Jech. Auch die Tests mit Bioethanol brachten Überraschungen: Bei der Verbrennung entstehen Säuren, die ins Motoröl wandern und es altern lassen. Doch diese unerwünschten Substanzen im Motoröl aktivieren anscheinend Zusatzstoffe, die wiederum die Ölversäuerung – und dadurch auch den Verschleiß – reduzieren.

Sensoren warnen vor Ausfällen

Die Testergebnisse wurden im Fahrzeugversuch bestätigt. „Jetzt bräuchten wir Sensoren, die direkt den Zustand des Motoröls messen, um den optimalen Zeitpunkt des Ölwechsels zu bestimmen“, erklärt Jech auch den Umweltgedanken. Nicole Dörr, Forschungsleiterin im Bereich Schmierstoffe, fügt hinzu: „Wir entwickeln auch Ölsensoren für Großanlagen, bei denen sehr viel Geld auf dem Spiel steht, wenn das Öl versagt: Wie reagiert etwa Öl in Großmotoren, die von Biogas betrieben werden?“ Auf die Messung von Verschleiß ist man im AC2T stolz. „Während andere Spezialisten den Verschleiß von Geräten in Mikrometer pro Stunde messen, schaffen wir die Messgröße Nanometer pro Stunde“, sagt Pauschitz.

Was passiert mit Nanopartikeln, die bei jedem Verschleißvorgang abgerieben werden? Auch das sind Forschungsfragen. Oder wie misst man Nanopartikel in undurchsichtigem Schmierstoff? In normalem Motoröl findet man nicht einmal ein Haar. Nanopartikel sind tausendmal dünner, neue Messmethoden erkennen die Lichtstreuung rund um sie im Schmierstoff.

Dies ist notwendig, um Ausfälle von Geräten oder notwendige Wartungen frühzeitig zu erkennen: wichtig bei Flugzeugturbinen oder teuren Industrieprozessen. Die Fragen gehen nie aus: Wie wird etwa bei Materialien, die gleitend sind wie Teflon und ohne Schmierstoff auskommen, die große Reibungswärme abgeführt? All das soll hier erforscht werden: Das Comet-K2-Projekt wurde kürzlich positiv evaluiert und erhielt eine Zusage für weitere fünf Jahre – insgesamt 54 Millionen Euro, die Hälfte kommt von Industriepartnern, der Rest vom Technologieministerium und den Bundesländern.

AC2T (Austrian Centre of Competence for Tribology) ist mit 150 Mitarbeitern auf rund 4000 Quadratmetern Betriebsfläche in Wiener Neustadt eines der weltgrößten Forschungszentren für Reibungslehre. Das K2-Projekt wird im Comet-Kompetenzprogramm von Technologieministerium und Wissenschaftsministerium gefördert. Die Forschungsbereiche umfassen unter anderem Schmierstoffe, Verschleißbestimmungen, Festkörperphysik, Oberflächenphysik und Multiskala-Computersimulationen. Junge Tribologen kommen aus den Bereichen Physik, Chemie, Elektrotechnik, Maschinenbau oder Werkstoffwissenschaften: Sie forschen am Zentrum im Rahmen von Dissertationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wissenschaft

Automobil: Wie sich die Einzelteile reiben

Am Virtual Vehicle wird ein Motorprüfstand entwickelt, der in Kombination mit Computersimulationen zeigt, welche Reibung einzelne Motorkomponenten haben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.