Der Giftschrank der Natur

Er präsentiert, sie inspiziert: Die Kloake zeigt, ob er gut durchgeputzt hat und parasitenfrei ist. Geputzt wird mit Cantharidin, einem starken Gift, das mit der Nahrung kommt, es ist in Käfern. Bekannter ist es als Aphrodisiakum unter dem falschen Namen „Spanische Fliege“.
Er präsentiert, sie inspiziert: Die Kloake zeigt, ob er gut durchgeputzt hat und parasitenfrei ist. Geputzt wird mit Cantharidin, einem starken Gift, das mit der Nahrung kommt, es ist in Käfern. Bekannter ist es als Aphrodisiakum unter dem falschen Namen „Spanische Fliege“. Franz Kovacs
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Auch Tiere greifen zu Medikamenten, sei es für Therapien, sei es zur Prophylaxe. Diese Zoopharmakognosie zeigt sich oft im Gebrauch von Giften.

Ganze Kompanien fielen aus, als Napoleon seine Truppen auch noch nach Ägypten schickte, die Männer waren kampfunfähig, sie hatten höchst schmerzhafte Dauererektionen. Die kamen vom Essen, das Brot ging oft aus, die Franzosen griffen ersatzweise zu etwas, das sie von zu Hause kannten und von dem es am Nil wimmelte: Frösche. Die hatten auch etwas verspeist: Ölkäfer. Und die hatten etwas im Leib, wofür Menschen kein Sensorium haben. Wir schmecken es nicht, Insekten sehr wohl: Bei vielen bringen sexhungrige Männchen den Weibchen etwas mit – „Hochzeitsgeschenke“ heißt das offiziell in der Biologie: „nuptial gifts“ –, diebegutachten und entscheiden dann.

Die Gabe kann Futter sein, das stärkt die Weibchen für die Brut, sie kann Gift sein, das stärkt die Brut selbst. Darum geht es den Ölkäfern: Die Männchen haben Cantharadin in sich – ein starkes Gift, das Parasiten tötet –, ein paar Tröpfchen scheiden sie am Kopf aus und präsentieren sie den Weibchen. Sind die mit Quantität und Qualität zufrieden, lassen sie sich begatten, mit dem Sperma kommt dann eine große Fuhre Cantharidin, sie schützt die Jungen ihr Leben lang vor Plagegeistern. Oft auch vor dem Gefressenwerden, nur wenige Tiere haben Entgiftungsmechanismen, Frösche etwa können zugreifen. Andere Tiere müssen sich gegen andere Plagen andere Mittel einfallen lassen, jeder Hundebesitzer weiß, dass sein bester Freund sich selbst therapiert, wenn er plötzlich Gras frisst. Und auch bei wilden Tieren wurde der Griff in die Apotheke der Natur natürlich lange schon beobachtet.

Aber die Forschung wurde erst hellhörig, als man 1978 bei Schimpansen etwas Wunderliches bemerkte: Bisweilen suchen sie ganz besondere Blätter, die kauen sie nicht, sondern rollen sie zusammen und schlucken sie so, obwohl sie haarig sind und schwer hinuntergehen. Das ist eine Wurmkur: Die Pflanzen enthalten Gift – Thiarubrin A, ein Dioxin-Derivat –, es würde von der Magensäure angegriffen, deshalb werden die Blätter im Ganzen hinuntergewürgt, vielleicht helfen sie auch noch mechanisch beim Reinigen des Darms.

„Zoopharmakognosie“ wurde das Phänomen 1993 von Eloy Rodriguez und Richard Wrangham genannt, es zeigte sich bald auf vielen Feldern und in vielen Ausprägungen. Es wird therapeutisch eingesetzt, wie bei den Schimpansen, oder prophylaktisch, auch über Generationen hinweg, so halten es die Ölkäfer, die Fruchtfliegen auch: Wenn sie Parasiten in der Nähe spüren – Wespen, die ihre Eier in Fliegenlarven deponieren–, legen sie ihre Eier in alkoholreiche Umgebung. Die finden sie leicht, sie leben von vergärendem Obst, sie vertragen den Alkohol auch, Wespenlarven gehen daran zugrunde. Noch umfassender ist die Prophylaxe bei sozialen Insekten, Waldameisen schützen ihre Nester mit eingelagertem Harz, Bienen tun es auch bzw. taten es: Imker mögen das nicht, es wurde den Bienen abgezüchtet, das hat vermutlich einiges zu den Massensterben der letzten Jahre beigetragen (Adipologie 41, S.295).


Heilpflanze vom Bären. Nicht jede Anwendung ist innerlich, viele Vögel ziehen Ameisen durch das Gefieder oder baden gar in deren Haufen: Ameisensäure tötet Läuse. Auch Bären haben Kuren entwickelt, Grizzlys etwa bereiten eine Paste aus Wurzeln von Osha, einer Doldenpflanze, und schmieren sie ins Fell, um Insekten fernzuhalten. Mit der Rezeptur waren sie freigiebig, ein Ethnobiologe hörte es: „Ich habe von Indianern gelernt, dass der Bär, in ihrer Tradition ein großzügiges göttliches Tier, ihnen ein Osha-Geschenk gegeben hat – eine Heilpflanze von großer Bedeutung“, Indianer benutzen sie gegen viele Beschwerden, auch als Insektizid.

Andere haben sich anderes abgeschaut: In Brasilien suchen Eidechsen, die von Schlangen gebissen wurden, eine besondere Wurzel, nagen daran und kommen dann zum Kämpfen zurück. Seit Indigene das bemerkt hatten, nutzten auch sie die Wurzel als Gegengift. Und die Maya sollen gar Bienen den Gebrauch einer Droge abgeschaut haben, einer stark narkotisierenden.

Das ist nicht sehr gesichert, etwas anderes schon: Menschen haben mit Vielem experimentiert, das sie sexuell stärken und/oder attraktiv machen soll, etwa mit Arsen. Im steirischen Arsenbergwerk Rotgülden päppelten sie damit erst die Grubenpferde auf, dann sich selbst; Arsen ist Anabolikum und Aphrodisiakum, es ist aber auch ein Gift, deshalb musste mit höchster Vorsicht dosiert werden, man orientierte sich nach ausgiebigen Selbstversuchen an einem geläufigen Maß: „Ein Weizenkorn macht rot (attraktiv im Gesicht, Anm.), ein Gerstenkorn macht tot“.

Vielleicht gab es derartige Experimente auch bei Cantharidin. Das ist nicht nur ein Gift, es lockt auch, und es hebt die Lust: Liegt irgendwo ein toter Ölkäfer, machen sich andere Insekten über ihn her und kopulieren an Ort und Stelle. Offenbar haben Menschen auch das beobachtet und ihre Schlüsse gezogen: Zerriebene Käfer gingen – unter dem falschen Namen Spanische Fliege – in die Liste der Lustmacher ein (Vorsicht I: Bloß nicht probieren, es hatte schon oft ein tödliches Ende! Vorsicht II: Ölkäfer gibt es auch in den Donauauen, Kinder sollten sie nicht berühren und vor allem anschließend nicht an den Fingern schlecken!).

Aber Cantharidin kann nicht nur direkt anregen, sondern auch umwegig mitspielen, das hat Caroline Bravo (Madrid) an Vögeln bemerkt, Großtrappen (PLoS One, 21.10.): Sie fressen Ölkäfer, obgleich sie ihnen nicht munden, beide Geschlechter tun es, vor allem Männchen stürzen sich darauf, im Frühling. Dann ist Balzzeit, die kostet die Männchen Kraft, sie werden empfindlicher für Infektionen und Parasiten. Deshalb zeigen sie beim Werben den Weibchen nicht ihre Köpfe vor wie die Ölkäfer, sondern ihre Kloaken, die bei Vögeln die Körperausgänge für alles sind, auch Sperma. Die Weibchen schauen exakt hin, erleichtert wird das dadurch, dass die Kloake von weißen Federn bekränzt ist. Dort wird inspiziert, auf Spuren von Braun, die auf Diarrhö deuten würden, auf Schädlingsbefall. Deshalb putzen Männchen mit Cantharidin durch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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