Wenn Hightech-Wiedergänger die Macht übernehmen

(c) EPA (FILIP SINGER)
  • Drucken

Die Illusion, dass man in einem anderen Körper lebt und ihn steuert, lässt sich mit Mitteln virtueller Realität erzeugen. Aber nun hat man in einem Labor den Spuk auf die Spitze getrieben und den anderen Körper den eigenen steuern lassen.

Wenn wir etwas tun wollen, etwa die rechte Hand bewegen, dann sind wir natürlich sicher, dass es unsere Hand ist. Auch der Rest ist klar: Wir planen die Bewegung, wir führen sie aus, wir nehmen das Ergebnis wahr und vergleichen es mit dem Plan. All das gerät allenfalls bei Verletzungen des Gehirns durcheinander, die Betroffenen leiden an Somatoparaphrenie, sie stellen in Abrede, dass ein Körperteil zu ihnen gehört, dass etwa ihre rechte Hand wirklich ihre rechte Hand ist.

Das ist selten, aber seit 1998 weiß man, dass es jedem so ergehen kann, im Psychologenlabor. Damals wurde die „rubber hand illusion“ kreiert: Die Testperson sitzt vor einem Tisch und hält die rechte Hand unter die Platte. Auf der liegt eine Gummihand. Wenn nun der Versuchsleiter beide Hände synchron mit einem Pinsel kitzelt, hält die Testperson die Hand für die ihre, die sie sieht, die aus Gummi. Das ist keine schlichte Sinnestäuschung, dabei geraten Sinne aneinander, einerseits der Sehsinn, der die Außenwelt im Auge hält, und andererseits die Propriozeption, die im Körper misst, wo welcher Teil gerade ist.

Mann in Körper von Frau oder Kind

Dieser Sinn wird in der „rubber hand illusion“ überrannt, und wie! Wird die Gummihand mit einer Nadel bedroht, bricht auf der echten Schweiß aus. Und sieht eine weiße Testperson eine schwarze Gummihand, verändert sich die Einstellung gegenüber Menschen mit schwarzer Haut. Das Gleiche zeigte sich, als man mit Mitteln der virtuellen Realität – bei denen via Datenbrille Bilder ins Auge gespielt werden – nicht nur einzelne Körperteile imaginieren ließ, sondern ganze Körper: Dann akzeptieren männliche Testpersonen durchaus auch weibliche Körper als die ihren, oder die von Kindern, sie nehmen auch deren Sichtweise an – für Kinder sind Möbel höher –, und von Avataren in Computerspielen färbt gar der Charakter ab: Tragen sie beim Kämpfen Schwarz, wird der in ihnen Verkörperte aggressiv, Weiß hingegen stimmt, wie in den Spielen, eher friedlich.

Irgendwie handelt man dabei doch noch selbst, zumindest partiell, aber die Grenzen verschwimmen bedrohlich. Und nun hat Mel Slater (Barcelona), einer der Pioniere des Feldes, den Spuk eine letzte Spur weitergedreht (Pnas, 24. 11.): Wieder wurden Testpersonen mit Datenbrillen in andere Körper verfrachtet, die Probanden sahen diese im Spiegelbild, beide bewegten sich synchron, zunächst nach Maßgabe der Testpersonen. Aber dann bewegten die Spiegelbilder, gesteuert vom Computer, ganz von allein ihre Lippen und sagten etwas – Worte, die die Testpersonen vor dem Test auf Band gesprochen hatten –, und die Testpersonen fielen mit ein, vor allem, wenn auch ihr Zwerchfell synchron gereizt wurde. Sie sprachen ihrer Spiegelung nach, imitierten auch deren Stimme, die lag etwas höher als die eigene: „Es fühlte sich an, als würde ich Worte sprechen, die ich hörte.“

Mensch/Maschine-Verbund beim Militär

Ein schlichtes Imitieren ist das nicht, es ist die Machtübernahme des Hightech-Wiedergängers, in der man etwas tut, was man nicht geplant hat – und doch verantworten muss. Das ist dann weder Spielerei noch ein akademisches Problem, darauf verweist Slater: Vor allem das Militär arbeitet an Mensch/Maschine-Verbünden, die ganz ähnlich funktionieren wie die Avatare im Labor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.