Schlafforschung: Machen lichtemittierende E-Books Körper und Gehirn krank?

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Wer beim Lesen vor dem Einschlafen auf traditionelles Papier und Lampenlicht setzt, ist auf der sicheren Seite. Das kurzwellige blaue Licht, das viele E-Books emittieren, bringt hingegen den Schlaf durcheinander und unterdrückt die Produktion von Melatonin.

„Schneller, besser, sinnlicher“, jubelte der „Spiegel“ neulich, als er die „Zukunft des Lesens“ ausmalte, in prächtigsten Farben. Da gibt es etwa eine Entwicklung, die via Spezialbrille einen Text so am Auge vorbeiführt, dass es sich selbst überhaupt nicht mehr bewegen muss – für gewöhnlich zuckt es hin und her, in „Sakkaden“ –, diese Zeit geht dann nicht mehr verloren, „Spritz“ heißt die noch nicht erhältliche Innovation, die das Lesen zum Spitzensport machen soll, für jedermann.

Aber nicht jedermann wird einsehen, warum auch noch das Lesen beschleunigt werden soll. Und was „sinnlich“ bzw. „sinnlicher“ an den elektronischen Zauberkästen sein soll, ist auch schwer nachzuvollziehen, zumindest von all jenen, die noch auf Haptik setzen, auf das Vergnügen, Papier zwischen den Fingern zu spüren, eine Zeitung zu entfalten, in einem Buch zu blättern, früher musste man es gar erst aufschneiden, die Nostalgieindustrie wird das wohl bald offerieren.

Nun gut, das sind Fragen des Geschmacks und des Lebensstils, aber lesen hat auch mit Gesundheit zu tun, nicht nur mit der des Geistes, manche heute Alte haben sich in der Kindheit die Augen verdorben, weil sie unter der Bettdecke heimlich lasen, mit der Taschenlampe. Heute ginge das einfacher, Hightech-Lesegeräte tragen das Licht in sich, und das könnte Probleme bringen. Das hat sich zumindest im Labor von Charles Czeisler (Harvard) gezeigt. Der ist Schlafforscher und hat zwölf junge Erwachsene gebeten, vor dem Schlafen im Labor erst noch etwas zu tun, vier Stunden lang zu lesen.

Die Hälfte der Probanden tat das in einem Buch und unter Lampenlicht, die andere hatte ein (kurzwelliges) Licht emittierendes E-Book (iPad). Anschließend ging es ans Schlafen, acht Stunden lang. Die Schlafdauer war bei allen Probanden gleich – sie wurden geweckt –, sonst unterschied sich vieles. Die mit dem LE-E-Book – LE steht für Light Emitting – wurden am Abend weniger müde, sie schliefen zehn Minuten später ein als die anderen, aber am nächsten Morgen brachten sie schwerer die Augen auf. Auch die Schlafarchitektur änderte sich, die REM-Phasen – die, in denen man die Augen heftig bewegt und träumt – waren selten.

Krebs durch zu viel Licht in der Nacht

Und beim LE-E-Book wurde die abendliche Produktion des Neurotransmitters Melatonin unterdrückt – stark, um über die Hälfte –, beim Buch mit Licht geschah das nicht (Pnas, 22. 12.). Melatonin ist am Steuern der inneren Uhr („circadian clock“) beteiligt, die uns im Tagesrhythmus hält. Wenn seine Produktion chronisch unterdrückt wird, etwa bei Krankenschwestern im Nachtdienst, fördert das das Brustkrebsrisiko, auch bei anderen Tumoren ist der Verdacht so stark, dass zu viel Licht in der Nacht von der Weltgesundheitsorganisation WHO als vermutliches Karzinogen eingestuft wird.

Aber die anderen im Labor haben ja auch gelesen, am Licht kann es nicht liegen, nur an seiner Qualität: LE-E-Books leuchten im kürzerwelligen Blau, und von dem weiß man schon, dass es – bei gleicher Photonenzahl – die innere Uhr stärker beeinflusst als langwelligeres Licht. „Eine epidemiologische Evaluierung der Langzeitfolgen dieser Geräte ist dringend nötig“, schließt Czeisler und verweist darauf, dass die Schlafdauer ohnehin zurückgegangen ist und viele andere elektronische Geräte – Laptops, Smartphones etc. – auch Blaulicht emittieren.

Eines fällt beim Lesen der Arbeit am Rand auf, Czeisler ist ein von der Industrie gern gerufener Berater, das muss mitpubliziert werden („conflict of interest“). Es hilft nur nicht weiter: Penguin Press findet sich ebenso unter den Klienten wie Apple und Microsoft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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