Im gleißenden Licht

SOUTH AFRICA DROUGHT
SOUTH AFRICA DROUGHT(c) EPA (Jon Hrusa)
  • Drucken

Zum Äquator hin werden Tiere dunkler, Menschen auch. Glogers Regel beschrieb es vor 180 Jahren. Aber erst jetzt zeigt sich ein Grund – an Pflanzen.

Regeln sind nicht so rigide wie Gesetze, schon in ihrer Definition schwingen die Ausnahmen mit, aber sie bringen doch Orientierung, ins Alltagsleben wie in die Natur, in der alle – fast alle – Tiere in warmen Regionen dunkler gefärbt sind als in kalten. Das fiel dem Ornithologen Lambert Gloger 1833 an seiner Klientel auf – er publizierte es unter dem Titel „Das Abändern der Vögel durch Einfluss des Klimas“ –, seitdem hat es sich auch an Säugetieren gezeigt, es ist zu Glogers Regel geronnen.

Anderen stach anderes ins Auge, dem Anatomen Carl Bergmann 1847 ein Konnex zwischen Körpergröße und geografischer Breite (und/oder geomorphologischer Höhe). Zoologe Joel Allen formulierte 1877 seine Regel, derzufolge bei warmblütigen Tieren die Körperextremitäten – Beine, Schwänze, Ohren – in kalten Regionen relativ kürzer sind, wohl des geringeren Wärmeverlustes wegen, und so geht es weiter, bisweilen ist eine Regel auch nach dem benannt, in das sie Ordnung bringt: Laut „Eierregel“ sind Gelege von Vögeln im Norden größer, weil dort nur eine Brut im Jahr hochgebracht wird.

Immer geht es um Phänomene der Bio- bzw. Ökogeografie, die man nicht recht einordnen und erklären kann. Bergmann etwa ist aufgefallen, dass Tiere der gleichen oder eng verwandter Arten größer sind, wenn sie hoch im Norden oder im Gebirge leben. Er vermutete dahinter den Haushalt der Wärme: Große Körper halten sie besser, kleine strahlen sie stärker ab, weil die Masse eines Körpers im Kubik wächst, die Oberfläche im Quadrat. Diese Regel hat auch in der Evolution Bestätigung gefunden: Vor 55,5 Millionen Jahren brach eine Warmzeit an, in ihr stiegen die Temperaturen binnen 10.000 Jahren um neun bis 14 Grad, auch die CO2-Gehalte in der Atmosphäre schossen hoch. Darauf reagierte die Tierwelt doppelt, zumindest die in Nordamerika, wo besonders intensiv gegraben wird, etwa von Philip Gingerich (Ann Arbor): Auf der einen Seite entstanden viele neue Arten, auf der anderen schrumpften alte: Die Pferde etwa, die ohnehin klein waren wie Hunde (5,6 Kilo), verzwergten auf Katzengröße (3,9 Kilo).

Dann kam neue Kühle und Größe, dann wieder Wärme und Schrumpfung. Aber Gingerich sah einen Konnex nicht nur mit der Temperatur, sondern auch mit dem CO2, er ergänzte Bergmanns Regel damit: Erhöhtes CO2 lässt Pflanzen besser gedeihen, macht sie aber weniger nahrhaft – pro Bissen –, Pflanzenfresser bleiben klein, ihre Jäger auch (Trends Ecol. Evol. 21, S.264).


Temperature-size rule. Oder ist es noch etwas anderes? Bergmanns Regel gilt nur für warmblütige Tiere – auch da beschränkt, 71 Prozent der Säuger folgen ihr, 76 der Vögel –, die stellen aber nur ein Promille aller Arten. Bei den Übrigen gibt es auch einen Effekt der Temperatur auf die Körpergröße, ihn will die temperature-size rule fassen: Innerhalb vieler Arten werden Tiere umso früher geschlechtsreif – und wachsen dann nicht mehr –, je wärmer ihre Umwelt ist. Eine Hypothese setzt auf den Brennstoff des Lebens: Sauerstoff. Der muss in Körper hinein, in jede Zelle, und es muss immer mehr hinein, je wärmer es ist, dann läuft der Stoffwechsel auf höheren Touren.

Das Problem verschärft sich in dem Medium, in dem man schwerer an Sauerstoff kommt und mehr Energie für Bewegung braucht: im Wasser. Dort hat Andrew Hirst (London) die Hypothese bestätigt, dort sind die Effekte viel größer als auf dem Land (Pnas 109, 19310).

Es geht bei den Regeln also meistens um Größe, es geht aber eben auch um Farbe: Gloger vermutete, dass Vögel in wärmeren und feuchteren Regionen ihre Federn besser gegen Bakterien schützen müssen, und dass das mit dem dunklen Pigment Eumenalin besser geht, es stärkt gegen viele Belastungen. Haare auch? Die Regel gilt etwa bei Huftieren, William Allen (Bristol) hat es gezeigt, vermutet aber einen anderen Hintergrund: Die Eindunkelung zum Äquator hin diene der Tarnung. Die hat auch Regeln, eine ist Thayers Gesetz der „Gegenschattierung“: Tiere sind oben dunkel und unten hell, von oben gesehen heben sie sich so weniger von der Erde ab (von unten weniger vom Himmel). Und je heller das Licht von oben gleißt, desto dunkler muss dieser Schutz ausfallen (American Scientist, Vol. 180, No.6).

Menschen folgen Bergmanns Regel auch, aber an Gegenschattierung liegt es nicht, wir gehen aufrecht und sind (fast) überall am Körper gleich gefärbt. Lang vermutete man, das Eindunkeln zum Äquator hin diene dem Schutz vor UV-Licht bzw. Hautkrebs. Aber der kommt spät im Leben, oft nach der reproduktiven Phase und damit uninteressant für die Evolution, die auch Hautfarben verwirft oder fördert. Deshalb verficht Nina Jablonski (Pennsylvania State University) eine andere Idee: Es gehe schon um UV, aber nicht die Haut müsse geschützt werden, sondern etwas in ihr bzw. im Blut, Folsäure, Babys brauchen sie. Darum seien die Menschen, die in Afrika nach Ablegen ihres Fells helle Haut hatten – das ist eine Nebenpointe Jablonskis –, dunkel geworden, und später, in Regionen mit weniger Sonne, wieder hell, des Vitamins D wegen, dessen Produktion in der Haut Licht braucht (Science 346, S.934).

Jablonski stützt ihre Hypothese mit epidemiologischen Daten, direkte Belege sind das nicht, die gibt es bisher überhaupt nicht für Glogers Regel. Diese Lücke hat Matthew Koski (University of Pittsburgh) nun gefüllt – mit einer Pflanze, dem Gänsefingerkraut. Das wächst allerorten in Nordamerika, und es hat, wie viele anderen Pflanzen, ein Pigmentmuster („bullseye“) in den Blüten, das reflektiert UV – deshalb heißt es auf deutsch: „UV-Mal“ –, man vermutet, dass das dem Schutz der Pollen dient.

Man vermutete: Koski hat zunächst im Feld beobachtet, dass die Male im Süden größer sind. Dann hat er im Labor Blüten mit verschieden großen Malen gleichen UV-Dosen ausgesetzt. Die mit größeren Malen brachten mehr Pollen durch (Nature Plants, 8.1.). Ein wenig ironisch sei es schon, kommentiert Innes Cutchill (Bristol), dass jetzt just Botaniker gefunden haben, wonach Zoologen seit 180 Jahren suchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.