Wenn die Knochen im Schlaf brechen

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Gesundheit. Genetische Mutationensind der Grund für die Glasknochenkrankheit. Wichtige Erkenntnisse dazu hat man in Wiener Einrichtungen gewonnen. Möglicherweise wurde auch ein neuer Marker für eine einfachere Diagnose gefunden.

David Ch. ist 33 Jahre alt, 1,40 Meter groß und hat bereits 25 Knochenbrüche im rechten Oberschenkel erlitten. „Wir haben den Patienten erst vor Kurzem erstmals gesehen, bis dahin hatte man nicht erkannt, was ihm fehlte“, sagt Heinrich Resch, Vorstand der II. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern in Wien.

Dort hat Assistenzarzt Roland Kocijan mittels klinischer Erfahrung, spezieller Knochenstruktur-Analyse und neuartiger CT-Untersuchung die Krankheit endlich diagnostiziert und durch Genanalytik bestätigt: Herr Ch. leidet an Osteogenesis imperfecta (OI), der sogenannten Glasknochenkrankheit. Manchen Menschen bricht sie die Knochen im Schlaf. Manchen färbt sie die Sclera, also das Augenweiß, hell- bis tiefblau. Manchen beschert sie Kleinwüchsigkeit, vielen eine verminderte Menge an Knochen.

Sprödes Knochenmaterial

Jahrzehnte lang kannte man die Ursache dieser seltenen Krankheit nicht. „Licht ins Dunkel brachte die Möglichkeit zu genetischen Untersuchungen. Heute kennt man viele genetische Mutationen, die zur Störung der Knochenneubildung sowie zu sprödem, brüchigem Knochenmaterial führen“, sagt die Physikerin Barbara Misof, die am Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Osteologie im Hanuschkrankenhaus und Unfallkrankenhaus Meidling in Wien unter anderem das Knochenmaterial erforscht.

Das ist ein Verbundmaterial in Nanometer-Größenordnung: In das elastische Kollagen, den organischen Grundbestandteil des Knochenmaterials, sind wenige Nanometer große Kalziumphosphat-Mineralpartikel, das eigentliche Knochenmineral, eingelagert. Und sie sind es, die das Kollagen versteifen und dem Material Festigkeit und Härte geben. Allerdings: Zu viel davon bedeutet keineswegs mehr Festigkeit, im Gegenteil.

Das Wiener LBI für Osteologie unter der Leitung von Klaus Klaushofer und eine Arbeitsgruppe vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam unter der Leitung von Peter Fratzl haben Knochenproben, die von internationalen Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt wurden, untersucht und mittels aufwendiger Methoden nachgewiesen: Patienten mit Glasknochenkrankheit haben im Kollagen zwar gleich große Mineralpartikel wie Gesunde, sie haben aber viel mehr dieser Partikel. Die Übermineralisierung des Knochens, die bei allen bisher untersuchten OI-Typen beobachtet wurde, ist aber nur ein Grund dafür, dass OI-Knochen so spröde sind. Ein weiterer rührt von der verminderten Qualität des Kollagens her.

Kollagenketten-Moleküle werden in den knochenbildenden Zellen erzeugt und ausgeschleust; außerhalb der Zelle bilden sich dann aus Kollagenketten die Kollagen-Moleküle. „Mutationen an den Genen, die Baupläne für diese primären Kollagenketten-Moleküle enthalten, sind für 90 Prozent der Fälle von Osteogenesis imperfecta verantwortlich“, so die Forscherin. Diese Mutationen führen zu einer Störung der Kollagensynthese, es werden defekte oder generell weniger Kollagenketten gebildet.

Was aber liegt der OI bei den restlichen zehn Prozent der Erkrankungsfälle zugrunde? Das hat man erst in jüngster Vergangenheit erkannt. Misof: „Hier sind die Kollagen-Gene selbst intakt, hier liegt ein Defekt in den Genen der Helferproteine vor. Das sind jene Proteine, die die Bildung des Kollagen-Moleküls aus den primären Kollagenketten-Molekülen überhaupt erst ermöglichen.“

Bis jetzt ist es nicht gelungen, die bei OI gestörte Kollagensynthese zu verbessern. „Es gibt auch kein einziges zugelassenes Medikament für Osteogenesis imperfecta“, bedauert Resch. Behandelt wird – neben orthopädischer und chirurgischer Versorgung – seit den 1990er-Jahren mit der Substanzklasse der Bisphosphonate. Am Ludwig-Boltzmann-Institut für Osteologie untersuchte man, wie sich diese Osteoporose-Medikamente auf das Knochenmaterial auswirken. Misof: „Die Menge an Knochenmineral bleibt auf dem Stand von vor der Behandlung.“ Die Materialeigenschaft wird nicht verändert, es muss also nicht befürchtet werden, dass der Knochen – als unerwünschte Nebenwirkung – weiter übermineralisiert wird.

Hingegen bewirkt die Therapie, die vor allem bei Kindern mit Osteogenesis imperfecta angewendet wird, dass – wie erwünscht – weniger Knochen abgebaut wird und damit mehr Knochenmasse vorhanden ist. „Dennoch wird die Behandlung mit Bisphosphonaten unterschiedlich diskutiert“, vermerkt Misof. Denn während diese Medikamente bei Osteoporose nachweislich das Fraktur-Risiko senken, ist das bei OI noch nicht eindeutig nachgewiesen.

Neue Therapie mit Antikörper?

Ob eine Therapie mit dem Sklerostin-Antikörper – Sklerostin ist ein Protein, das die knochenbildenden Zellen beeinflusst – in weiterer Zukunft eine Behandlungsoption darstellen wird, ist derzeit noch unklar. Im Mausmodell jedenfalls konnten damit vor allem bei milderen Formen der Glasknochenkrankheit vielversprechende Zuwächse an Knochenmenge erzielt werden.

Roland Kocijan hat unlängst als einer der Ersten Sklerostinwerte im Serum von OI-Patienten serienmäßig bestimmt: „Er war bei allen Patienten, egal wie schwer die Krankheit ausgeprägt war, deutlich erniedrigt.“ Damit könnte man erstmals einen Marker gefunden haben, mit dem sich OI relativ einfach mittels eines Bluttests feststellen lässt, bislang gibt es ja nur eine genetische Bestimmung. Resch: „Es ist viel zu früh, um zu sagen, ob Sklerostin jemals routinemäßig zur Diagnose herangezogen werden kann.“ Eines aber könne er heute schon sagen: „Wir freuen uns über diesen Parameter, denn er hat schon reale Zukunftschancen.“

LEXIKON

Osteogenesis imperfecta (OI), die Glasknochenkrankheit, beruht auf genetischen Mutationen. Manche Patienten erleiden im Laufe ihres Lebens hunderte Knochenbrüche, manche nur wenige. Viele Patienten sind von normaler Statur, manche extrem kleinwüchsig. Auch wenn man immer neue Spielvarianten von OI entdeckt und heute mehr als zwölf Formen kennt, gilt nach wie vor die klinische Haupteinteilung in vier Typen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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