Unterwerfung light im Römerreich

Engelsburg - Castel Sant´ Angelo
Engelsburg - Castel Sant´ Angelo(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
  • Drucken

Geschichte. Die Römer der Antike zwangen die unterworfenen Völker nicht, Kultur und Sprache gänzlich aufzugeben. Sie waren keine „Unterwerfungsdampfwalzen“, sondern ließen Freiräume.

Loredana Cappelletti räumt mit einer Lehrmeinung auf: Die Römer haben den unterworfenen Völkern die lateinische Sprache und die römische Zivilisation nicht wie eine Zwangsjacke übergestülpt, sondern sie zeigten sich sehr wohl den Kulturen der anderen Völker gegenüber tolerant. Eine Erkenntnis, die nicht nur die Römer in einem anderen Licht als bisher erscheinen lässt, nämlich nicht als „Unterwerfungsdampfwalzen“, sondern die auch durchaus auf unsere heutige Zeit Rückschlüsse zulässt, in der es zu einer Vermischung von unterschiedlichen Kulturen auf engstem Raum kommt.

Um den Umgang Roms mit den ihnen einverleibten Völkern Mittelitaliens zu untersuchen, haben die italienische Rechtshistorikerin und ihr Team von der Uni Wien im Rahmen eines FWF-Projekts Hunderte Texte, Inschriften und bildliche Quellen auf Steinen, Bronzetafeln und Urnen ausgewertet. Ein oftmals schwieriges Unterfangen, weil viele Texte nur mehr fragmentarisch erhalten sind. Cappelletti und ihre Mitarbeiter hatten jedoch auch Glück.

„Wir konnten ganze Familienstammbäume rekonstruieren, die uns überlieferten, welche Positionen und institutionelle Funktionen die einzelnen Mitglieder in der damaligen Gesellschaft innehatten, wie viele Senatoren es pro Gemeinde gab und wie die Volksversammlungen funktionierten.“

Betroffene Völker in Italien

Dadurch konnten sie den Prozess der Kolonialisierung der Völker südlich des Po zwischen dem ersten Jahrhundert vor Christus und dem dritten Jahrhundert nach Christus nachzeichnen und die Vorgehensweise Roms analysieren.

Bis dato lag der Fokus der Forschungen zur Ausweitung des Römischen Reiches auf weiter entfernten Gebieten wie Spanien, Frankreich, Griechenland, Kleinasien und Nordafrika. „Die Romanisierung der italienischen Halbinsel“, so Cappelletti, „war jedoch kein selbstverständlicher Prozess, obwohl die betroffenen Völker Nachbarn der Römer waren.“ Die institutionelle Seite auf lokaler Ebene wurde bislang wenig beforscht, die meisten Projekte konzentrieren sich auf die religiösen und kunsthistorischen Aspekte der Romanisierung.

Dazu muss man wissen, dass ab dem Jahr 88 v. Chr. die ganze Halbinsel römisch wurde. Die Bewohner wurden also römische Bürger. Zuvor waren die rund zwölf Völker wie die Etrusker und Italiker, die dann unter römische Herrschaft gerieten, autonom. Zwar waren sie bereits Alliierte der Römer, dennoch hatten sie eine eigene Sprache, eine eigene Kultur, eigene Traditionen und eine eigene Verwaltung. Die Römer haben sie nicht zur Aufgabe ihrer alten Strukturen gezwungen und diese gar verboten, sondern sie gestanden den neuen Bürgern zu, ihre Sprache zu sprechen, ihre Kultur auszuleben und einige Zeit sogar, ihre einheimischen Magistraturen weiterzuführen. Zweisprachige Texte belegen das.

Politische Strukturen erhalten

„Selbst die politischen Strukturen mussten die Unterworfenen nicht gleich gänzlich aufgeben, auch wenn die offizielle Sprache natürlich Latein und die Verwaltung römisch wurde“, so Cappelletti. „Aber man muss sich vorstellen, dass die doch sehr schnelle Ausbreitung des Römischen Reiches es nicht erlaubte, alles gleich zu kontrollieren und zu beherrschen.“ So blieben die alten Institutionen in einigen Kolonien des heutigen Süditalien bis ins dritte Jahrhundert nach Christus erhalten. Die alten Magistrate bekamen in der römischen Zeit sakrale Funktionen. Es gab Kollegien, die man sich wie heutige Vereine vorstellen kann, die eigene Grundstücke hatten, eine eigene Kasse und in denen adlige Familien sich trafen und beispielsweise ihre religiösen Rituale pflegten.

Auch wenn die alten administrativen Institutionen der einzelnen Völker nur mehr eine Ehrenfunktion hatten, war das für diese Bürger dennoch ein wichtiges Überbleibsel ihrer alten Lebensform, eine nostalgische Struktur, die es ihnen erlaubte, ihre Identität beizubehalten. Die Integration war damals also keine eiskalte Unterwerfung, sondern ein schrittweiser Prozess mit Übergangsphasen.

LEXIKON

Das Römische Reich, gegründet 753 v. Chr., erstreckte sich in der Hochblüte um 120 n. Chr. vom heutigen Schottland bis zum Sudan, von Spanien bis zum Kaukasus. Bis 500 v. Chr. wurde es von etruskischen Königen beherrscht. Darauf folgte eine fast 500 Jahre währende Republik, bis durch Augustus die römische Kaiserzeit eingeleitet wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.