Alpenpflanzen ertragen heiße Luft

Enzian zwischen Felsgestein
Enzian zwischen Felsgestein(c) Erwin Wodicka / wodicka@aon.at
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Innsbrucker Forscher zeigten erstmals, wie gut alpine Pflanzen mit Hitze umgehen können. Bei maximaler Hitzeabhärtung halten viele bis knapp 60 Grad Blatttemperatur aus.

Alpenpflanzen müssen die meiste Zeit des Jahres mit niedrigen Temperaturen zurechtkommen. Daher sind sie Spezialisten dafür, wie man Sonneneinstrahlung effizient in Wärme umwandelt und schaffen sich dadurch ein günstiges Mikroklima. „Wenn aber auch in den Alpen Hitzeperioden häufiger werden, wie es Klimamodelle prognostizieren, kann das für einzelne Pflanzenarten zur Falle werden“, sagt Othmar Buchner vom Institut für Botanik der Uni Innsbruck. Denn genauso wie sich ein Auto in der Sonne stärker aufheizt als die Umgebung, absorbieren auch Pflanzen Strahlungsenergie und wandeln diese in Wärme um. So erreichen sie bei wolkenlosem Himmel eine viel höhere Temperatur als die sie umgebende Luft.

Ähnlich wie wir schwitzen, um die Köpertemperatur zu regulieren, können Pflanzen zwar auch transpirieren, um über den Verdunstungseffekt die Hitze abzuwehren. Doch im Fall von Wassermangel versagt dieser Mechanismus, und es kommt zu bleibenden Schäden im Gewebe: Die Blätter verfärben sich, Zellen sterben ab. Wie eine Pflanze aussieht, die an Hitze leidet, weiß jeder Balkongärtner.

Buchners Team hat in den vergangenen Jahren untersucht, wie gut alpine Pflanzen mit Hitze zurechtkommen, wie hoch deren „maximale Hitzetoleranz“ ist. „Wir messen auch die tatsächlich auftretenden Blatttemperaturen“, sagt Buchner. So kann man einen Sicherheitsabstand zwischen der jetzigen Temperatur und der Schwelle beziffern, ab der schwere Schäden für die Pflanze zu erwarten sind. „So sind erste Risikoabschätzungen möglich geworden, die aktuelle Klimaprognosen für die nächsten Jahrzehnte berücksichtigen“, erklärt Buchner.

Ein Labor auf 1950 Metern Seehöhe

Die Messungen erfolgten hauptsächlich am Patscherkofel, wo die Uni Innsbruck einen Alpengarten betreibt, inklusive einem Labor auf 1950 Meter Seehöhe. Die ambitioniertesten Mitarbeiter stiegen bis auf 2600 Meter am Ötztaler Timmelsjoch, um Pflanzen zwischen Baum- und Schneegrenze zu untersuchen, wie den Gletscherhahnenfuß.

Die Innsbrucker entwickelten in diesen Projekten, die vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt wurden, ein eigenes Hitze-Toleranz-Test-System (HTTS), mit dem sie bisher 14 verschiedene Alpenpflanzen direkt vor Ort untersuchen konnten – ohne Pflanzenteile abschneiden zu müssen und ins Labor zu bringen. „Herkömmliche Messungen geschahen an abgetrennten Blättern im Labor. Solche unter naturfremden Bedingungen erhobenen Daten geben nur bedingt Auskunft darüber, wie die ganze Pflanze in ihrem natürlichen Lebensraum auf Hitzestress reagiert, und was passiert, wenn die Hitze wieder vorbei ist“, sagt Buchner.

Das HTTS besteht aus acht Plexiglas-Kammern, die die Forscher über die ganze Pflanze stülpen. Die Blatttemperaturen können daraufhin in jeder Kammer über ein Notebook geregelt werden. So kann – unter natürlicher Sonneneinstrahlung – der Hitzestress kontrolliert gesteigert werden. Nach 30 Minuten werden die entstandenen Blattschäden dokumentiert und daraus Kennwerte errechnet. Wichtig ist etwa der LT-50-Wert, der jener „letalen Temperatur“ entspricht, bei der 50 Prozent der Blattfläche einer Pflanze irreversibel geschädigt sind.

Ein Luftbefeuchter im System garantiert 100 Prozent Luftfeuchte in den Kammern, damit die Pflanze nicht transpirieren kann und die Blätter tatsächlich die Temperatur erreichen, die am Gerät eingestellt wurde. „Die erste Überraschung war, dass die untersuchten Alpenpflanzen bei der naturnahen Methode meist höhere Temperaturen aushalten, als es unter Laborbedingungen zu erwarten war“, sagt Buchner. Diese Erkenntnis kann nun in neue Klimamodelle einfließen.

Was passiert bei langsamer Erwärmung?

Doch Buchners Team wollte mehr wissen: Wie reagieren Pflanzen, wenn man sie nicht flott erhitzt, sondern die Erwärmung schleichend kommt, wie eine echte Hitzefront eben? „Wenn wir die Erwärmung über acht Tage langsam gesteigert haben, haben die Pflanzen erstaunlich hohe Blatttemperaturen ausgehalten. Sie hatten Zeit, ihre Hitzetoleranz anzupassen und haben sich abgehärtet.“ Physiologisch heißt das, dass außer der Transpiration auch Vorgänge im Pflanzeninneren angekurbelt wurden, um der Hitze standzuhalten.

Das geschieht vor allem durch Anpassungen ihrer Biomembranen, etwa durch den Austausch von Fettsäuren, sowie durch die Produktion von speziellen Hitzeschock-Proteinen. Zudem bilden Pflanzen mit steigender Hitze mehr Radikalfänger wie Ascorbinsäure oder Glutathion, die freie Sauerstoffradikale entschärfen, die durch Hitzestress in den Zellen vermehrt entstehen.

Das Gewöhnliche Katzenpfötchen vertrug bei langsamem Temperaturanstieg zum Beispiel 55 Grad, der Stängellose Enzian sogar 57 Grad, bevor die Hälfte der Blätter Schäden aufwies. „Wenn Sie Ihre Hand in 60 Grad heißes Wasser halten, wissen Sie, was eine Hitzetoleranz von knapp unter 60 Grad bedeutet“, sagt Buchner. Diese Alpenpflanzen können sich also gegen Hitzeperioden abhärten und ihre maximale Hitzetoleranz im Tagesverlauf um durchschnittlich drei bis vier Grad erhöhen.

Der Hitzestress wirkt lang nach

IN ZAHLEN

Und was passiert mit den Pflanzen, wenn die Hitze vorbei ist? „Wir konnten erstmals zeigen, dass auch subletaler Hitzestress lang nachwirken kann“, so Buchner. So hat beispielsweise die Almrose, die bei 45 Grad Blatttemperatur noch keine sichtbaren Blattschäden aufgewiesen hat, sogar nach über einer Woche noch eine deutlich verminderte Effizienz gezeigt, was die Fotosynthese betrifft. Die Pflanze hatte sich von der Hitzeeinwirkung nicht erholt und konnte den Gasaustausch und die CO2-Verwertung nur schlechter ausführen als vorher. 2000 Meter Seehöhe ist – je nach Lage in den Alpen – in etwa die Waldgrenze. Bei rund 2500 Metern liegt die Baumgrenze. Als Alpenflora bezeichnet man Pflanzenarten, die oberhalb der Baumgrenze vorkommen.

Um 0,6 Grad Celsius nimmt die Lufttemperatur pro 100 Meter mit steigender Meereshöhe ab. Alpenpflanzen entkoppeln durch besondere Wuchsformen, die die Strahlungswärme der Sonne nutzen, ihre eigene Temperatur von der umgebenden Lufttemperatur. Beispiele sind die Alpenazalee (Spalierwuchs), das stengellose Leimkraut (Polsterwuchs) und der Traubensteinbrech (Rosettenwuchs).

(Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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