Der Balkan, das Tor der Habsburger zum Orient

AUSSTELLUNG ´PRINZ EUGEN´
AUSSTELLUNG ´PRINZ EUGEN´(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Neuere Geschichte.Mit der Schengen-Außengrenze der EU erlebt die alte Militärgrenze der österreichischen Monarchie eine Neuauflage. Historiker analysieren die Interaktionen zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich.

Festungen, Wehrdörfer, Besatzungen, Wachtürme, Gräben und Palisaden quer über den Balkan: Auf einer Länge von 1865 Kilometern erstreckte sich die Militärgrenze der Habsburger-Monarchie. Die zwischen 40 und 100Kilometer breite Zone sollte als Schutz gegen die Osmanen dienen. „Grenzer übten ihren Beruf als Soldat und Bauer grundsätzlich lebenslang aus“, schreibt die Historikerin Daniela Angetter von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Nur Männern, die nicht für das Militär tauglich waren, durften Gewerbe wie Schmied, Schlosser oder Maurer erlernen.

Der Beitrag Angetters im Sammelband „Orient & Okzident. Begegnungen und Wahrnehmungen aus fünf Jahrhunderten“ zieht einen historischen Vergleich von der vom 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Militärgrenze bis zur Gegenwart: Mit dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union sei ein Teil der Militärgrenze wieder aktuell geworden, nun als Außengrenze des Schengen-Raums, an der verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und Zollregelungen erneut eingeführt wurden.

Der in dieser Woche präsentierte Band „Orient & Okzident“ richtet den Fokus auf die Beziehungen zwischen der Habsburger Monarchie und dem Osmanischen Reich bzw. Österreich und der Türkei. Auf der einen Seite die katholische Großmacht mit dem Kaiser in Wien, auf der anderen der Vertreter des Islam mit dem Sultan in Istanbul. 24 Geisteswissenschaftler beleuchten den von Barbara Haider-Wilson und Maximilian Graf, beide von der ÖAW, herausgegebenen Sammelband aus unterschiedlichen Perspektiven. Sicher, die kriegerischen Ereignisse bis zu den letzten Türkenkriegen Ende des 18. Jahrhunderts sind Teil der bekannten österreichischen Geschichte.

Neues Bild der Geschichte

Doch mit dem Wiener Kongress änderte sich das Verhältnis. Staatskanzler Metternich wollte das Osmanische Reich unbedingt als gleichberechtigten Partner im europäischen Staatensystem festigen. Obwohl bereits allgemein vom „kranken Mann am Bosporus“ gesprochen wurde, war das Reich vor dem Ersten Weltkrieg ein begehrter Bündnispartner und sah sich – wegen der russischen Expansionspolitik – auf der Seite der Mittelmächte. Barbara Haider-Wilson sieht den so betonten Rückfall des Osmanischen Reiches nicht in dieser Schärfe. „Die osmanische Geschichte wird jetzt schon umgeschrieben“, sagt sie mit Verweis auf die mannigfaltigen Anstrengungen im Osmanischen Reich im 19. Jahrhundert und die damals durchaus zeitgemäßen Reformen in der Verwaltung. Der gegenwärtige Salafismus war den Türken fremd, betont Haider-Wilson, sie beließen den Ungarn, Bulgaren oder Walachen ihr Volkstum und ihre Religion.

Aus Wiener Sicht fängt der Orient bereits an den Grenzen der Monarchie an, wie auch das Metternich zugeschriebene Bonmot, dass der Balkan am Wiener Rennweg beginne, übertrieben zeigt. 1878 ist anlässlich der Okkupation von Bosnien-Herzegowina durch Österreich-Ungarn wiederum ein knapper Ausspruch des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Andrássy überliefert: „Nun ist das Tor zum Orient für Habsburg geöffnet.“ Und 1912 wurde der Islam in Österreich zur staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft.

LEXIKON

„Orient & Okzident.Begegnungen und Wahrnehmungen aus fünf Jahrhunderten“ lautet der Titel des von Barbara Haider-Wilson und Maximilian Graf herausgegebenen Bandes (770 Seiten, 49,90 Euro, Neue Welt Verlag). 24 Autoren, die in den Instituten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig sind oder mit diesen in enger Verbindung stehen, analysieren das Beziehungsgeflecht der Habsburger-Monarchie mit dem Osmanischen Reich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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