Roter Teppich für Nervenzellen

Christina Schuh fand sowohl in London als auch hier in Wien ein kreatives und positives Umfeld, in dem Forschung Spaß macht.
Christina Schuh fand sowohl in London als auch hier in Wien ein kreatives und positives Umfeld, in dem Forschung Spaß macht.(c) Clemens Fabry
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Die Bioingenieurin Christina Schuh untersucht in Laborschälchen, wie man Nervenzellen nach einem Unfall wieder zum Wachsen bringen kann.

In Österreich hatte Christina Schuh oft das Gefühl, dass kaum jemand weiß, was Forscher so tun und welchen Wert die Wissenschaft für unsere Gesellschaft hat. Darum entschied sich die junge Forscherin vor fünf Jahren, in Teilzeit an einer Schule zu unterrichten. In der HTL am Technologischen Gewerbemuseum, TGM, in Wien Brigittenau arbeitet sie mit 16- bis 18-Jährigen im Zellkulturlabor. „Die Fragen der Schüler inspirieren mich: Das bringt eine ganz neue Sichtweise auf das Forschungsgebiet, in das man so vertieft ist“, sagt Schuh, die am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, ebenfalls in der Brigittenau, arbeitet. „Durch das Unterrichten kommt man aus dem eigenen Trott heraus. Vor allem, wenn die Schüler fragen: Warum braucht eine Zelle genau dieses Molekül und nicht ein anderes? Für mich ist wichtig, dass die Schüler schon früh verstehen, was Forschung bedeutet. Das prägt sie für ihr ganzes Leben.“

Die Wienerin interessierte sich selbst früh für Wissenschaft: „Nerven haben mich schon in der Schule fasziniert: Ihre Regeneration ist extrem spannend.“ Wird ein Nerv in unserem Körper durchtrennt, bleibt zwar der Teil, der näher an dem Rückenmark ist, erhalten. Doch der andere Teil löst sich komplett auf, nur die Hüllstruktur bleibt übrig. Das macht eine Heilung von Verletzungen, bei denen Nerven durchtrennt werden, so schwierig. Das LBI Trauma forscht seit Jahrzehnten an Techniken, wie man nach Unfällen das verlorene Nervengewebe wieder herstellen kann.

Bei Verletzung wechselt das Programm

„Meine Arbeit konzentriert sich auf Schwann'sche Zellen, die im gesunden Nerv hoch spezialisiert sind“, erzählt Schuh. Schwann'sche Zellen umhüllen und stützen die Axone, die aus jeder Nervenzelle als lange Verbindungskabel zu anderen Nerven oder anderem Gewebe verlaufen. „Schwann'sche Zellen bilden Myelin. Wenn sie aber ein Signal bekommen: Achtung! Verletzung!, schalten sie ihr Programm komplett um und vermehren sich“, sagt Schuh. So bilden die Schwann'schen Zellen besondere Bänder, an denen sich später die nachwachsenden Axone entlangtasten können. „Das ist wie ein roter Teppich, der für den frisch wachsenden Nerv ausgelegt wird.“ Schuh forscht seit ihrem Studium an der FH Technikum Wien an diesen besonderen Nervenschutzzellen: In ihrer Masterarbeit hat sie versucht, Fibrin, den körpereigenen Klebstoff der Wundheilung, in dünne Fäden zu spinnen, um sie als Trägerstruktur zu nutzen. Auf den Fibrinfäden sollten Schwann'sche Zellen wachsen, um den roten Teppich für nachwachsende Nervenzellen auszurollen. „Bei den Versuchen habe ich zwar gemerkt, dass ich ein Händchen für Schwann'sche Zellen habe. Aber mit Fibrin gab es ein Problem: Es baut sich zu schnell ab und konnte nicht als Trägerstruktur dienen“, sagt Schuh.

Jahre später hat sie nun als Post Doc wieder Fibrin in der Hand: und zwar in einer Mischung mit Kollagen, dem Strukturprotein von Bindegewebe. „In Kooperation mit dem University College London haben wir verschiedene Materialien gemischt, um die optimalen Eigenschaften zu finden“, erzählt Schuh. Die Kollagen-Fibrin-Mischung kann nun sowohl die Schwann'schen Zellen aktivieren als auch das Wachstum der frischen Nervenenden verbessern. „Unser Problem ist aber oft die Umsetzung in die Klinik: Was im Labor gut klappt, dauert sehr lang, bis es wirklich zur Anwendung kommt.“

Das Gefühl, dass alles möglich ist

Über das halbe Jahr, das Schuh heuer in London gelebt hat, berichtet sie fröhlich: „Ich habe in Islington direkt neben einem Bauernmarkt gewohnt: ein sehr ehrliches und echtes Viertel.“ London sei so vielseitig, dass ohnehin jeder seinen Platz dort findet, von Hipster bis Posh – wie man die reichen, schicken Londoner nennt. „Und mit dem Forschungsinstitut am UCL hatte ich genau so ein Glück wie in Wien: In beiden ist der Spirit sehr kreativ und positiv. Jedem wird das Gefühl gegeben, dass alles möglich ist“, schwärmt Schuh. Genau das brauche sie, um gut arbeiten zu können: viel Austausch mit kreativen Leuten und stets neue Sichtweisen auf alte Fragen.

Auch privat will Schuh immer wieder Neues erleben: Nicht nur, dass sie gern Sprachen wie Polnisch, Spanisch, Türkisch, Japanisch und Gebärdensprache lernt und fließend Englisch und Italienisch spricht. Auch sportlich braucht sie stets Herausforderungen: Nach Eishockey, Kickboxen, Squash, Yoga und Fechten hat sie neuerdings Rennradfahren und Outdoor-Schwimmen für sich entdeckt.

ZUR PERSON

Christina Schuh wurde 1985 in Wien geboren und studierte an der FH Technikum Wien Biomedical Engineering. Nach dem PhD an der TU Wien blieb sie am Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie, wo sie schon während des Doktorats forschte. Hier fokussiert sie sich auf die Verbesserung der Nervenregeneration. Im November gewann Schuh den Best Abstract Award beim LBG Meeting for Health Sciences in Wien.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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