Glasherstellung

Die Herstellung von Glas zählt zu den ältesten Kulturtechniken. Das ändert nichts daran, dass die Geheimnisse dieses Materials noch lang nicht restlos erkundet sind.

Was man im südböhmischen Ort Nové Hrady (Gratzen) zu sehen bekommt, ist wirklich erstaunlich: In der Bibliothek der Burg stehen Pokale, Becher, Kerzenständer etc. aus Hyalitglas – das ist eine rote oder schwarze Glassorte, die völlig lichtundurchlässig und extrem hart ist. Erfunden wurde das Material vor 200 Jahren von Georg Franz August von Buquoy. Der damalige Schlossherr war ein vielseitig gebildeter Mann, er schrieb eine mehrbändige „Theorie der Nationalwirthschaft“, korrespondierte mit J. W. von Goethe, war Mitglied der Gelehrtengesellschaft Leopoldina, installierte 1803 die monarchieweit erste Dampfmaschine in einem Bergwerk, stellte 1838 einen Teil seiner Wälder außer Nutzung, „um sie für die wahren Naturfreunde zu bewahren“ – er schuf damit eines der ältesten Naturschutzgebiete Europas – und förderte die Glasproduktion in seinem Herrschaftsbereich.

Das Hyalitglas begeisterte die Zeitgenossen, es wurde ein großer Erfolg – und fasziniert auch heute. Noch dazu, wenn man bedenkt, dass die genaue Rezeptur nach dem Schließen der Glashütten Anfang des 20. Jahrhunderts (wegen ihrer peripheren Lage und der globalen Konkurrenz) verloren ging. Verschiedene Quellen sprechen vage von einem sehr komplizierten Prozess und einem Zusatz von Mangan oder von Hochofenschlacke.

Dass man das Hyalitglas heute nicht einfach „nachkochen“ kann, ist bemerkenswert. Denn Glas zählt zu den ältesten Werkstoffen der Menschheit, es gibt also immens viel Know-how. Glas ist eine unterkühlte Flüssigkeit, in der verschiedene Metallatome in ein regelloses (amorphes) Netzwerk aus Siliziumoxid eingebettet sind. Abhängig von der genauen chemischen Zusammensetzung können Gläser sehr unterschiedliche Eigenschaften haben. Obwohl viel geforscht wurde und wird, versteht man die atomare Struktur nicht in allen Details – und noch weniger, wie sich bestimmte Zusätze auf die Eigenschaften auswirken.

Es verwundert daher nicht, dass ständig neue Entdeckungen gemacht und neue Anwendungsbereiche erschlossen werden. So ist es spanischen Wissenschaftlern – um nur ein Beispiel zu nennen – kürzlich gelungen, ein Zinkoxid-Glas herzustellen, dessen Oberfläche Bakterien abtötet. Das könnte für medizinische Implantate, Wasserreinigungssysteme oder die Lagerung von Lebensmitteln sehr interessant werden.

In dem alten Material steckt also weiterhin noch viel Potenzial.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

(Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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