Lässt sich vorhersagen, wie Chemikalien im Körper wirken?

Pharmazeuten wollen Umweltgifte enttarnen. Mit einem neuen Softwarewerkzeug können sie potenziell giftige Kandidaten identifizieren.

Prognosen sind unsicher, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, heißt es. Aber praktisch wäre es schon, vorab zu wissen, welche Stoffe für den Menschen schädlich sein können. Der Pharmazeutin Daniela Schuster von der Uni Innsbruck ist das ein Stück weit gelungen. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt entwickelte sie ein Frühwarnsystem für gefährliche Umweltsubstanzen, die in Produkten des Alltags stecken: von der Plastikflasche bis zum Lippenstift.

„Jeder biologischen Aktivität liegt ein bestimmter Wirkmechanismus zugrunde“, erklärt sie. Vor allem aus Forschung zu Arzneistoffen gebe es dazu viel Vorwissen. Die Erkenntnisse hat die Forscherin nun in einem Computermodell mit Datenbanken zu Umweltchemikalien verbunden. Damit können die Forscher nun etwa bei Inhaltsstoffen von Kosmetika zeigen, ob sie für den Körper schädlich sind. Dazu kaufen Schusters Projektpartner in Deutschland und der Schweiz die Produkte auch und testen sie im Labor.

Buben werden weiblich

Im Fokus stehen zunächst Stoffe, die die Hormonproduktion des Körpers beeinflussen. Umweltgifte könnten sich auf die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen auswirken, aber auch das Erbgut verändern, warnt Schuster. Vor allem Föten und Kinder vor und während der Pubertät seien besonders empfindlich: Gerät das Hormongleichgewicht durcheinander, könne es bei Buben etwa zu einer Verweiblichung kommen. Außerdem könnten bestimmte Stoffe Krebs auslösen oder Tumorwachstum beschleunigen. In weiterer Folge will Schuster auch Stoffe untersuchen, die auf das Immunsystem wirken oder Konzentrationsschwierigkeiten verursachen.

Wie schnell Umweltgifte wirken, unterscheidet sich stark. Putzmittel etwa hat eine akute Toxizität, die Haut rötet sich sofort. Heimtückischer sind Stoffe mit chronischer Toxizität, bei denen sich die schädliche Wirkung erst nach Jahren oder Jahrzehnten zeigt. „So wenig Chemie wie möglich und so viel wie nötig“, rät Schuster daher Konsumenten. Biologische Produkte zu verwenden, muss aber nicht unbedingt besser sein. Denn auch die Natur liefert hoch wirksame, mitunter giftige Substanzen – Stoffe, für die sich Schuster in ihrer Arbeit ebenfalls interessiert.

Wie kann sich ein Konsument nun schützen? Hände weg von Plastikflaschen, die unangenehm riechen, sagt Schuster. Das sei auch ohne Labortest ein Indiz für gefährliche Inhaltsstoffe. Außerdem rät sie, sich nicht ständig dick einzuschmieren oder voll zu schminken: Zwar sei vieles gut verträglich, aber manche Substanzen seien noch nicht gut untersucht. Sie müssen nicht, können aber gefährlich sein. Hier helfe, die Produkte abzuwechseln, nicht immer dasselbe Mittel zu nutzen.

Aber nur, was man kennt, kann man auch regulieren. Schwierig werde es vor allem, wenn die Gefahr unbekannt ist, so Schuster. Mit ihrer Arbeit ist sie aktuell noch mitten in der Grundlagenforschung. Später will sie auch mit den Behörden sprechen, damit ihr Softwarewerkzeug zur Einschätzung potenziell gefährlicher Substanzen vor der Zulassung neuer Substanzen verpflichtend verwendet wird.

Noch eine gute Nachricht zum Schluss: Der menschliche Körper hat eine ganze Batterie an Möglichkeiten, schädliche Stoffe abzuwehren. Organe wie Darm und Leber helfen beim Entgiften, sagt Schuster.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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