Der Heldenmythos vom Marshallplan

George C. Marshall, Außenminister und Namensgeber
George C. Marshall, Außenminister und NamensgeberAPA
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Braucht Europa einen neuen Marshallplan? Nicht, solange sich die Debatte ausschließlich aufs Geld konzentriert. Griechenland hat schon hunderte Milliarden erhalten – und steht dennoch am wirtschaftlichen Abgrund.

Ein Gespenst geht diesmal nicht um in Europa. Aber ein Mythos. Der Mythos des Marshallplans. Derzeit wird dieser praktisch wöchentlich beschworen. Meist im Zusammenhang mit Griechenland. Und mit Geld. Denn Griechenland braucht Geld. Das hat inzwischen wohl wirklich jeder in Europa mitbekommen. Bei diesem Thema sind sich oft sogar Deutsche und Griechen einig. Der deutsche Außenminister, Frank Walter Steinmeier, hat den Marshallplan für Griechenland genauso gefordert wie der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis.

»Braucht Athen einen Marshallplan?«

Der ließ der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sogar ausrichten, man könne es diesmal ja „Merkel-Plan“ nennen – und vielleicht sogar auf die ganze EU ausdehnen. Das könnte das geschichtliche Vermächtnis der Angela Merkel sein, so Varoufakis. Immerhin wurde der Marshallplan ja auch nach seinem Erfinder, dem US-Außenminister George C. Marshall, benannt.

Wir brauchen Geld

In Sachen Marshallplan liegt die linke griechische Regierung sogar mit dem deutschen Ökonomen und Eurokritiker Hans Werner Sinn auf Linie. Es gibt nur ein Problem, eine Sache, bei der man sich nicht einig ist: Die Frage, was ein Marshallplaneigentlich ist.

Eine Debatte dazu ist auch gar nicht notwendig. Denn der Marshallplan dient heute nur noch als Symbol. Dieses sehr komplizierte Stückwerk an Aufbauhilfen Amerikas für die zerstörten Nationen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg wird heute auf einen simplen Heldenmythos reduziert – dessen Hauptrolle das Geld spielt.

Dabei bestand der Marshallplan keineswegs nur aus Geldgeschenken. Österreich, das als einziges teilweise von der Sowjetunion besetztes Land mitmachen durfte, erhielt überhaupt nur Geschenke in Form von Sachgütern. Trotzdem profitierte die damals nur schwach industrialisierte Alpenrepublik enorm. Knapp eine der zwölf bis 16 Mrd. Dollar, die damals geflossen sind, ging nach Österreich.

„Das ist für Griechenland heute undenkbar. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man damit anfängt, Maschinen nach Griechenland zu liefern“, sagt der Ökonom Kurt Bayer, der unter anderem für die Weltbank und im Finanzministerium gearbeitet hat – und den griechischen Eurobeitritt aus der ersten Reihe beobachten konnte. Freilich bestand die Hilfe im historischen Marshallplan nicht nur aus Sachgütern – und Geld spielte natürlich eine entscheidende Rolle. Immerhin investierten die USA in heutige Währung umgerechnet rund 100 Mrd. Dollar. Aber in 16 Länder – nicht nur in eines. Ironischerweise war Griechenland sogar der erste Rezipient von Mitteln aus dem Marshall-Fund.

Und hier endet die Ironie leider noch nicht. Denn Griechenland hat auch über Jahrzehnte große Mengen an Subventionen aus Europa bekommen. „Griechenland hat über die Jahre hinweg zwei bis drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung netto von der EU erhalten“, so Bayer. „Leider wurde aber nicht kontrolliert, was mit dem Geld geschieht. Auch weil man in die Angelegenheiten der Staaten nicht eingreifen wollte. Jetzt hat jeder Olivengarten einen Asphaltweg.“ Der deutsche Ökonom Franz-Ulrich Willeke beziffert die Hilfen für Griechenland zwischen 1991 und 2008 mit rund 133 Mrd. Euro.

New Deal

Damit nicht genug: Die griechische Party wurde durch den Eurobeitritt des Landes noch angeheizt, weil der Euro für künstlich niedrige Zinsen gesorgt und Athen sich noch stärker verschulden konnte. Dass heute ein offener Konflikt zwischen Deutschland, das sich als Zahlmeister sieht, und Griechenland, das sich bevormundet fühlt, herrscht, vereinfacht die Suche nach einer Lösung auch nicht – sondern führt zur Debatte über die europäische Transferunion, was wiederum den Nationalismus in Europa stärkt.

„Es gibt heute nur noch einen Bösewicht in Europa und das ist Griechenland – alle anderen Länder von Spanien bis Italien werden von den Märkten gut behandelt“, sagt der Wifo-Ökonom Stephan Schulmeister. „Ganz Europa ist in einer Depression, Griechenland ist der Sündenbock, weil man nicht zugeben will, dass die Politik der vergangenen Jahrzehnte gescheitert ist.“ Schulmeister hat auch einen Plan für Europa, der sich allerdings nicht an dem von Marshall, sondern am New Deal von US-Präsident Franklin D. Rooseveltorientiert.

„Wenn man sich die Erfahrungen der vergangenen 150 Jahren ansieht, erkennt man, dass die Überwindung von Depressionen immer mit einer Erhöhung der Staatsausgaben einhergegangen ist“, sagt Schulmeister. Aber genau das wolle man heute in Europa durch den Fiskalpakt verhindern. Ein fatales Signal? „Es geht nämlich gar nicht so sehr ums Geld, sondern vielmehr darum, dass der Staat in der Wahrnehmung der Bürger in Erscheinung tritt und Hoffnung generiert hat. Die Botschaft war: Wir tun etwas.“

Tatsächlich wurde auch der Marshallplan von den marketingmäßig immer schon firmen Amerikanern kräftig beworben. Man schickte sogar Sonderzüge durch Europa. Solche Maßnahmen fehlen heute komplett – weil sich alles nur ums Geld zu drehen scheint. Aber: Ökonom Bayer sagt, dass es an Mittel gar nicht fehlen würde – eher an guten, förderungswürdigen Ideen in Ländern wie Bulgarien, Rumänien oder Griechenland. Und Ökonom Schulmeister sieht nur Ideen, die aus seiner Sicht falsch sind: „Wettbewerbsfähigkeit und Einsparungen.“

Und dann ist da noch die eine Bedingung für den Marshallplan, an die sich heute nur noch Hans Werner Sinn zu erinnern scheint. Denn er will weiteres Geld erst nach der Rückkehr der Drachme geben. Auch der originale Marshallplan war an die Bedingung von Währungsreformen gebunden.

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