Die Verräter von Österreich

Hans Kitzmüllers Roman über die Schauspielerin Nora Gregor, die Ehefrau Starhembergs.

Hans Kitzmüller ist – ohne Übertreibung – ein äußerst vielseitiger Homme de Lettres Mitteleuropas. Jetzt hat der emeritierte Germanistikprofessor, Weinbauer und Verleger aus dem friulanischen Brazzano einen Roman über eine fast vergessene Diva der altösterreichischen Kleinstadt Görz geschrieben, wo sie im Jahr 1901 geboren wurde. Als Burgtheatermitglied und späterer Hollywoodstar war Nora Gregor einige Zeit lang recht berühmt. Nach dem Anschluss musste die Ehefrau des Heimwehrführers Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg Wien und später Europa verlassen.

In Lateinamerika versuchte sie, ihre Erlebnisse für eine amerikanische Zeitschrift aufzuschreiben. Aus ihren nur zum Teil erhaltenen „Aufzeichnungen in grüner Tinte“, wie Kitzmüller im Untertitel vermerkt, hat er eine spannende Erzählung verfertigt. Gregors Aufzeichnungen und Tagebücher, die verloren gegangen sind, hat Kitzmüller durch jahrelange Forschungsarbeit akribisch rekonstruiert, er hat sowohl in Argentinien als auch in Chile geforscht.

„Weit weg von Wien“ rekonstruiert die blendende Karriere der Schauspielerin, die mit Größen der Film- und Theatergeschichte wie Max Reinhardt, Jean Renoir oder Billy Wilder arbeitete. Kitzmüller gibt daneben einen tiefen Einblick in das private Leben einer faszinierenden Frau, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet und mit diesem Roman wiederentdeckt wird.

Natürlich könnten literarische Puristen streng fragen, wie ein Mann die Aufzeichnungen einer Frau verfassen oder ergänzen könne. Antworten kann man beispielsweise mit Gustave Flaubert, der das Innenleben Madame Bovarys hervorgekehrt und zuletzt gesagt hat: „Madame Bovary, c'est moi!“ Doch Nora Gregor ist keine Madame Bovary und Hans Kitzmüller noch weniger Gustave Flaubert. Die Autoren verbindet freilich die Begierde, das Verlangen und der Wunsch, die Innenwelt und das Seelenleben ihrer Heldinnen zu erforschen und vielleicht zu erleben. Was Hans Kitzmüller überzeugend fertiggebracht hat.

Überzeugte Österreicherin

Dem Autor gelingt es, Nora Gregor als überzeugte Österreicherin darzustellen,die als Schauspielerin wohl das Höchste erreicht hat, was sie sich wünschen konnte. Daneben illustriert ihr Leben die Zeitläufte der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; gestorben ist sie im Jahr 1949 in Santiago de Chile.

Ihre familiären Verquickungen mit dem Austrofaschismus werden unverhohlen thematisiert, sind jedoch nicht der eigentliche Gegenstand des Romans, obwohl Nora Gregor in ihren Aufzeichnungen ausdrücklich festgehalten hat, dass ihr Ehemann einer der wenigen Österreicher war, der offen gegen Hitler gekämpft hat. Nicht umsonst sagt gegen Ende des Buchs Nora zu ihrem kleinen Sohn, er solle nie vergessen, wer das wahre Österreich tatsächlich verraten habe. Nicht sein Vater, der in einer französischen Fliegeruniform gegen die Nazis gekämpft habe, sondern das Volk, das im Jahr 1938 für Hitler gestimmt und auf dem Heldenplatz gejubelt habe.

Kitzmüllers „Weit weg von Wien“ ist die Bestandsaufnahme einer einmaligen und interessanten Künstlerlaufbahn und zugleich ein kleines Lehrbuch über die Geschichte Österreichs, die nicht immer die allerruhmreichste war und Menschen zu Emigranten gemacht hat. ■

Hans Kitzmüller

Weit weg von Wien

Roman. Aus dem Italienischen von Christine Casapicola. Nachbemerkungen von Robert Sedlaczek. 234 S., brosch., einige SW-Fotos, €22
(Edizioni Braitan, Brazzano)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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