Die Rettung: Das weiße Kreuz auf rotem Grund

Arnon Grünberg: ein Schweizer im Irak. Das Aufeinanderprallen des Rechtschaffenen mit dem Unkalkulierbaren schafft Komik.

Das weiße Kreuz auf signalrotem Hintergrund: der schweizerische Pass, das Ticket, mit dem man gefahrlos um die Welt reist und das Türen öffnet, die anderen verschlossen bleiben. Auf sie kann man setzen, meint auch Samarendra Ambani, Schweizer mit indischem Vater und einer aus Zürich stammenden Mutter. Bis er am eigenen Leib erfährt, dass er auch mit Pass ziemlich nackt auf der Welt und an der Wand steht.

„Der Mann, der nie krank war“ nennt Arnon Grünberg die Geschichte eines jungen Mannes, der sich unverwundbar fühlt und umso härter auf dem Boden der Wirklichkeit aufprallt. Die Schauplätze: die Schweiz, der Irak, Dubai. Grünberg ist ein weit gereister, vielleicht auch gehetzter Autor. 1971 in den Niederlanden geboren, landete er 1994 mit „Blue Mondays“ einen Bestseller und streifte den Preis für das beste holländische Debüt des Jahres ein. Mit dem Roman „Amour Fou“ (der übrigens in Wien spielt) wiederholte er das Spiel, kam damit ganz lässig auf Verkaufszahlen von über 700.000. Amsterdam hat er hinter sich gelassen, ohne sich von dort zu verabschieden: Von New York aus schreibt er seine tägliche Kolumne in „De Volkskrant“. Dazu kommen 15 Romane, selbst Briefe sind schon publiziert. Grünberg ist 44 und vielen fast schon unheimlich.

Dagegen ist „Der Mann, der nie krank war“ ein ziemlich biederer und in vielem kalkulierbarer Charakter ohne wirklich herausstechende Eigenschaften: ein junger Architekt auf dem Weg nach oben, zielstrebig und unbescholten. Als ihm die Einladung zugestellt wird, eine Oper für Bagdad zu entwerfen und so mit Verdi und Puccini an einer neuen Gesellschaft zu bauen, wundert er sich zwar, dass es ihn trifft, fühlt sich aber geehrt. Sam, wie er sich nennt, nimmt den Auftrag des privaten Geldgebers an und reist in den Irak. Obskure Sicherheitsleute nehmen ihn in Empfang, er verschwindet im Hausarrest, die Besprechungen in Sachen Oper werden laufend verschoben. Bis ihm der Kragen platzt und er eigenständig zur Schweizer Botschaft aufbricht, wo er sich Antworten auf alle Ungewissheiten erwartet. Unterwegs aber wird er aufgehalten und festgenommen. Ein Missverständnis, wie Sam vermutet. In den nun folgenden Verhören beharrt er auf seiner Lauterkeit und der Herkunft aus einem der ehrenwertesten Länder der Erde, auch auf seiner politischen Unbedarftheit.

So funktioniert die Welt. Dieser Sam hat etwas Lächerliches in seiner Arglosigkeit. Umso härter treffen ihn die Vorwürfe, an einer rätselhaften Operation Puccini beteiligt zu sein. Die Ereignisse überstürzen sich: Haft, Folter, eine gebrochene Nase, Durchfall– und das ihm, der vorher nie krank gewesen ist. Der schweizerische Botschaftsangestellte erscheint als rettender Engel. Das weiße Kreuz auf rotem Grund wirkt dann doch. Meint Sam.

Grünbergs Roman gerät ziemlich schnell in Fahrt. Das Aufeinanderprallen des Rechtschaffenen mit dem Unwägbaren, Unkalkulierbaren schafft Komik. Das Lachen endet, als man die Hauptfigur beobachtet, wie sie immer stärker unter Druck gerät und damit in einer Maschinerie von Brutalität landet, die nicht mehr zu stoppen ist. Grünberg war mehrfach als „embedded journalist“ im Irak, er kennt das Land und die Strukturen, auch die Reisewarnungen.

Sam aber bleibt unbelehrbar. Als ein weiteres ungewöhnliches Projekt an ihn herangetragen wird, sagt er neuerlich zu: der Bau einer Bibliothek – oder ist es doch nur ein Bunker? – in Dubai. Das wäre dann wohl der internationale Durchbruch, die Direttissima zum Pritzker-Preis, wie er glaubt. Diesmal wird er in den Vereinigten Arabischen Emiraten verhaftet. Terror, Spionageverdacht, Überwachung, korrupte Richter, Verteidiger, die auch Kollaborateure sein könnten. Grünbergs Roman wird ziemlich drastisch und lässt viele Fragen offen. „Aber ich bin neutral!“, hört man Sam schreien. „Gearbeitet habe ich für Geld.“ Die Naivität des Westens, die Unfähigkeit, das eigene Wertsystem zu relativieren und es stattdessen anderen aufzuzwingen: etwas überspitzt geschildert, doch so zupackend, dass man den Roman nicht als bloße Satire abtun kann.

Arnon Grünberg ist ein souveräner Erzähler. „I am not running for president“, hörte man ihn sagen, als er verlautbaren ließ, dass er es nicht für nötig befinde, den renommierten AKO-Preis persönlich abzuholen. Da macht einer, was er will. Und er macht es ziemlich gut. ■

Arnon Grünberg

Der Mann, der nie krank war

Roman. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. 240 S., geb., €20,50 (Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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