Europa jenseits der Vaterländer

Romain Rolland, Stefan Zweig: Briefe einer Freundschaft und Zäsur im Denken Zweigs.

Um Stefan Zweigs Nachruhm stand es lange nicht zum Besten; er galt als verzärtelte Edelfeder, als „Schmuser“ (Karl Kraus) und kosmopolitisches „Volapüktier“ (Franz Blei), das man aus Haut und Haar aller europäischen Schriftsteller zusammengesetzt habe. Der Kitschverdacht wurde von der schnörkellosen Angestelltenliteratur der Nachkriegszeit erneuert, Zweig aber hat diese Einwände überdauert und auch im romanischen Europa ein großes Publikum für sich begeistert.

Eines der schönsten Medaillons in Zweigs Autobiografie „Die Welt von gestern“ ist seinem französischen Freund Romain Rolland gewidmet. Rolland war burgundischer Herkunft, als Autor des Künstlerromans „Jean Christophe“ erhielt er 1915 den Nobelpreis, später verfasste er große Beethoven- und Händel-Biografien. Im Ersten Weltkrieg war Rolland Pazifist von Beginn an, später glühender Gegner des Faschismus.

Der Briefwechsel zwischen Rolland und Zweig aus den Jahren 1914 bis 1918 ist für den weltkriegsmüden Leser ein Labsal. Statt um Räumpanzer und Schützengrabenkaffee geht es hier um die geistige Situation der Zeit. 1914 mahnt Rolland Zweig mit Engelsgeduld, die Verlautbarungsprosa der deutschen Presse nicht für bare Münze zu nehmen. Aus Genf weist er auf die Zerstörung der Kathedrale von Reims hin, auf die an der Zivilbevölkerung verübten Kriegsgräuel.

Freundschaften gehen in die Brüche: der belgische Lyriker Émile Verhaeren, von Zweig bewundert und übersetzt, schreibt von den abgeschnittenen Kinderbeinen, die deutsche Soldaten im Tornister trügen, Zweig ist entsetzt. Rolland wirbt für Verständigung, schlichtet, glättet. Er weist Zweig beharrlich auf „Konzentrationslager“ hin, in denen Kriegsgefangene unter grässlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisteten.

Weg vom deutschen Schriftsteller

Zu Kriegsbeginn versteht sich Zweig als „deutscher Schriftsteller“ (ein „Schweizer Schriftsteller“, was das heißen solle, fragt Zweig 1915: „In welcher Sprache schreibt er?“), alles „Zuschauen“ errege und verstöre bloß, allein das Mittun flöße Kraft ein. Im dritten Kriegsjahr pendelt sich der Ton des Briefwechsels ein; vergessen ist Zweigs Lob der deutschen Tapferkeit, die er dem französischen Pfauenstolz gegenüberstellte. Man trifft sich jetzt in der Schweiz, koordiniert die Friedensbemühungen. Rolland und Zweig klagen über die Ausschaltung der Parlamente, der Krieg werde über die Köpfe der Bürger hinweg fortgesetzt: Der Burgfrieden sei aufzukündigen, die Sozialisten sollten Opposition gegen die Kriegstreiber machen.

Der Krieg bewirkte in Zweigs Denken eine Zäsur, vielleicht ausgelöst von seiner Galizienreise, von den grauenvollen Verwüstungen, dem Elend der Lazarettzüge: 1915, 1916 wurde aus dem „deutschen Autor“ ein österreichischer Schriftsteller und Kritiker des Militarismus. Zweigs überragender Bedeutung wird man nur gerecht, wenn man die Schriften seiner Zeitgenossen liest, Bahrs und Hofmannsthals säbelrasselnde und salbungsvolle Mobilmachungs-Prosa.

Das Europa „jenseits der Vaterländer“, für das Rolland Zweig begeisterte, ist heute nicht minder elementar, aber auch nicht minder gefährdet als damals. Aus Heimweh nach diesem Europa der Zukunft hat sich Stefan Zweig, von Austrofaschismus und Nationalsozialismus ins brasilianische Exil getrieben, 1942 das Leben genommen. ■

Romain Rolland, Stefan Zweig

Von Welt zu Welt

Briefe einer Freundschaft. Begleitwort von Peter Handke. Aus dem Französischen von Christel Gersch und Eva und Gerhard Schewe. 480S., geb., €25,70 (Aufbau Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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