Ausschwitzen eines fiebrigen Gemischs

Stadtroman und Familiensaga: Leonardo Paduras Porträt von Havanna in den 1980er-Jahren.

Auf den 1955 in Havanna geborenen Kubaner Leonardo Padura prasseln internationale Preise derart dicht, dass der Zürcher Unionsverlag, wie immer in sorgfältiger Übersetzung von Hans-Joachim Hartstein, auf ältere Texte zurückgreift. Paduras „Die Palme und der Stern“ erschien bereits 2002 bei Tusquets Editores in Barcelona. (Kubas Revolution hielt damals zu Padura, der immer entlang einer kritischen roten Linie schrieb, diese aber nie übertrat, mürrisch Distanz, musste aber infolge der internationalen Wertschätzung 2012 ihm doch den lokalen Nationalpreis zusprechen.)

Somit steht dieser Band an der Wegscheide: Vorher die spannenden Kriminalgeschichten um das „Havanna Quartett“, in denen Kommissar Mario Conde inmitten des schwierigen Alltags in Havanna nicht nur Mörder, sondern auch antiquarische Bücher aufspürt; nachher die an Volumen wachsenden Romane mit verschiedenen ineinandergeschichteten zeitlichen und räumlichen Ebenen, mit Vor- und Rückblenden. Unser Band markiert den Sprung.

Man merkt es dem Text an, dass der Autor damit gelegentlich Mühe hat. Indes, alle Elemente der späteren Meisterschaft (zuletzt der Roman „Ketzer“, 2013) sind schon da: Etwa das den Krimis entnommene Element des Aufdeckers, hier in der Person des Schriftstellers Fernando, der aus dem Exil zurückkommt, um ein Freimaurer-Manuskript aus der Zeit um 1830 zu finden und gleichzeitig den zu entlarven, der ihn – in den 1980ern – denunziert und damit zur Flucht nach Miami getrieben hat.

Am Ende wird daraus eine Familiensaga, wobei der Vorfahr, José Maria Heredia, geortet wird, fiktiv und doch höchst real, weil der Vater des Helden selbst Freimaurer war (eine Vereinigung, der die Revolution misstraute). So kann Heredia seine eigene Geschichte erzählen, als literarischer Beschwörer „der Schönheit der Palmen und des Sterns von Kuba“, aber auch der Saga des historischen Befreiungskampfes auf der Zuckerinsel.

Der Geruch von Havanna

Wie immer bei Leonardo Padura kreist in Wirklichkeit alles um die Hauptstadt Havanna, der verkommenden Schönen, die alle abgöttisch lieben, auch die pausenlos über Bürokratie und Mangel schimpfenden Freunde des Helden. Wie sein Vorfahr preist auch Fernando die Stadt, die ein ganz eigenes Licht besitzt, intensiv und mild zugleich, mit heiterer Tönung, unvergleichlich. Und dann erst der Geruch: „Der Geruch von Havanna ist weder besser noch schlechter als anderswo, ist weder Wohlgeruch noch Gestank, und vor allem, er ist nicht rein. Er entsteht aus dem fiebrigen Gemisch, das eine chaotische und faszinierende Stadt ausschwitzt.“

2001/02, beim Schreiben dieses Textes, war eine politische Metamorphose, obschon erhofft, noch undenkbar. Deswegen bleibt auch Fernando ein Gescheiterter, der weiß, dass in Havanna ein Akt der Auflehnung das Erste ist, was man ihm verweigern würde.

Inzwischen freilich wehen sanft die Winde des Wandels. Manches wird plötzlich möglich. Leonardo Padura, heute auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, wurde heuer 60 Jahre alt. Eigentlich ein guter Moment, um die schwedischen Juroren des Nobelpreis-Komitees Kubas Literatur als preiswürdig wahrnehmen zu lassen. ■

Leonardo Padura

Die Palme und der Stern

Roman. Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. 458 S., geb., € 24,95 (Unionsverlag, Zürich)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.