Der Apparat der Ewigkeit

„Der ausgelieferte Beamte“: von „Normadressaten“ und der „kleinen Korruption“.

Was veranlasst jemanden, ein Buch über einen Berufsstand zu schreiben, der chronisch unterschätzt, vielfach belächelt, selbst von seinen Arbeitgebern verleugnet wird und dessen größte Tugend es ist, unsichtbar zu sein?

Peter D. Forgács beweist in seinem Buch „Der ausgelieferte Beamte“, dass es dafür viele Gründe gibt. Zum Beispiel den, dass kein gesellschaftlicher Sektor, weder die Politik noch die Wirtschaft, einen größeren Einfluss auf unser Leben hat, als die öffentliche Verwaltung. Schon Max Weber wusste, dass eine Gesellschaft erst verständlich wird durch die bürokratische Ordnung. Dass sie das Funktionieren eines Staates garantiert undauch sein Scheitern verantwortet. Und das schon seit der Antike.

In ständiger Symbiose mit der Politik, verhält sich der Beamtenapparat abwechselnd loyal und widerständig, führt er sein Geschäft am „Normadressaten“ streng aus oder empathisch, übt er Vorbildwirkung oder tyrannische Zwangsherrschaft aus. Die Bürokratie hatte,historisch gesehen, ihre guten und ihre schlechten Zeiten, aber eines schien ihr immer sicher: ihr Bestehen. Reiche, Regierungen, Minister (ver)gehen, doch der Beamtenapparat bleibt bestehen. Denn dieser ist seinem Wesen nach „auf Ewigkeit“ ausgerichtet.

Ein Beamter „bekleidet“ sein Amt. Die Verantwortung dafür trägt nicht er, sondern die Institution, der er dient. Gibt es einen perfekteren Gegensatz zu unserem Zeitgeist, in dem der Wandel per se die größte Tugend ist? Deshalb verwundert es auch nicht, dass im 21. Jahrhundert der Staatsdiener im öffentlichen Bewusstsein ausgedient zu haben scheint. Den Garaus gemacht haben ihm die neoliberalen Wirtschaftsdoktrinen von Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Tony Blair und Co. Nichts scheint dem „unternehmerischen Selbst“ (Ulrich Bröckling) mit seiner Schnelllebigkeit, Erfolgsorientierung, Nonkonformität, Selbstverantwortung mehr zu widersprechen als der Beamte, dessen größte Tugend der Gehorsam innerhalb eines hierarchischen Systems ist.

Des Staates ungeliebte Kinder

Die Angestellten der öffentlichen Verwaltung müssen deshalb mit einer beispiellosen Verschlechterung ihres Status zurechtkommen. Seit Jahrzehnten ist der öffentliche Dienst von Stellenabbau und Reallohneinbußen betroffen, gleichzeitig muss er gleich viel oder mehr leisten. Ein Paradox, das durch geschicktes Zahlen-Jonglieren erreicht wird. Während sich nach außen der Vater (Staat) von seinen ungeliebten Kindern lossagt und seinen Beamtenstock reduziert, kehren sie gut getarnt als ausgegliederte Posten von staatsnahen Betrieben in ihre Amtsstuben zurück.

So ist in Österreich noch immer circa jeder vierte Lohnabhängige im öffentlichen Sektor beschäftigt. Der Wiener Soziologe Peter D. Forgács betrachtet in seinem Buch den Beamten von oben, von unten, von außen und von innen. Und wie geht es dem Beamten selbst? Er ist ebenso abhängig (von Vorgesetzten und der Politik) wie ausgeliefert (den Dienstvorschriften und hierarchischen Strukturen), und doch hat er etwas, was Angestellte in der Privatwirtschaft nicht haben. Amüsant und aufschlussreich sind dazu Peter D. Forgács' Ausführungen zum „Don-Corleone-Prinzip“. Es lohnt sich, Forgács' „Akt“ über den Angestellten des öffentlichen Dienstes zu öffnen und den „unsichtbaren Beamten“ genauer unter die Lupe zu nehmen. ■

Peter D. Forgács

Der ausgelieferte Beamte

Über das Wesen der staatlichen Verwaltung. 328 S., geb., € 30 (Böhlau Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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