Zu viel, um Trend zu sein

Die Spielemesse ist aus: Wie in den vergangenen Jahren üblich wurden in Essen wieder zahlreiche neue analog-digitale Hybridkonzepte vorgestellt. Klassische Brettspiele haben trotzdem immer Saison.

Die größte Spielemesse für Endverbraucher ist am vergangenen Sonntag in der beschaulichen Ruhr-Metropole Essen zu Ende gegangen. Langsam erholen sich die Besucher von den vier Messetagen und diskutieren alljährlich die zentrale Frage: Was waren die großen Trends? Und in guter Tradition gab es eigentlich keine.

Dieser Umstand ist weniger der Qualität als der schieren Quantität – über 800 Neuheiten! – geschuldet. Die Palette der präsentierten Spiele reicht von einfachen Kinder- und Familienspielen bis hin zu komplexen, mit vielen Plastikminiaturen ausgestatteten Strategie-Epen. Dazwischen finden sich alle Nuancen für jeden Geschmack und aus allen Ländern. Besonders gefragt waren diesmal die Spiele der japanischen Verlage. Bereits knapp eine Stunde nach Hallenöffnung am ersten Messetag waren die Spiele von Japon Brands ausverkauft. Die Angst, eine spielerische Perle nicht zu bekommen, ist gerade in den ersten Stunden der Messe deutlich spürbar. Man erkennt dies an den durch die Hallen hastenden Menschen. Auch das gehört zur Spielemesse.

Wie in den vergangenen Jahren üblich wurden wieder zahlreiche neue analog-digitale Hybridkonzepte vorgestellt. Ravensburger bewegt sich dabei etwas weg von der eigenen Hardware – dem „Tiptoy“-Stift – hin zur Einbindung von Smartphones. Was bei Kosmos im vergangenen Jahr mit „Play it smart“ angedacht wurde, führt der Branchenriese nun mit „Smartplay“ konsequent weiter. So bemüht die Namensgebung auch sein mag, die Marktdurchdringung der multimedialen Mobiltelefone ermöglicht durchaus spannende Ansätze. Die Einbindung digitaler Gimmicks stellt aber auch einen deutlichen Bruch gegenüber einer zentralen Qualität analoger Spiele dar. Ein halbwegs liebevoll gepflegtes „Carcassonne“ etwa wird auch in zwanzig Jahren noch funktionieren. Ob sich dann für die lampenartige Mobiltelefonhalterung bei „Smartplay“ noch passende Geräte finden lassen, bleibt abzuwarten. Wir haben es hier übrigens mit einem der größeren Probleme der digitalen Spielkultur zu tun: der Möglichkeit der Archivierung und Wiedergabe schnell alternder Technologien.

Dennoch wagen sich immer mehr Verlage an diese Vermischung. Der Pegasus-Verlag etwa stellt mit „Golem Arena“ ein Tabletop-Spiel vor, bei dem Einheiten von Monstern mittels Stifteingabegerät kommandiert werden. Kampfauswertung und Verwaltung übernimmt das Tablett. Was vielversprechend klingt, hat einen praktischen Nachteil. Anstatt auf das liebevoll illustrierte Brett und die schön modellierten Figuren zu achten, blicken die Spieler gebannt auf das Tablett. Eine ähnlich zentrale Rolle übernimmt das Smartphone in „Alchemists“ des tschechischen CGE-Verlags. Die Spieler brauen bei dem Spiel unterschiedliche Tränke aus verschiedenen Zutaten. Wie effektiv eine solche Mixtur ist, wird vom Smartphone ermittelt (oder alternativ von einem neutralen Mitspieler).

„Alchemists“ war rasch ausverkauft. Nicht ganz so groß war der Andrang bei Rudy Games. Das neu gegründete Unternehmen aus Linz stellte eine Reihe von „Combined Games“ vor. Die abgedeckte Palette ist überraschend groß und soll das Potenzial des Ansatzes zeigen. Neben einem Quizspiel und einem „Social Board Game“ mit Facebook-Anbindung (sic!) bediente das Unternehmen mit „Leaders“ auch den klassischen Strategiespieler. Optisch vermutlich bewusst an den Klassiker „Risiko“ angelehnt, übernimmt das „Smart Device“ die Verwaltung der vielfältigen Aufgaben. Und dann natürlich das Brettspiel zum Computerspielklassiker „X-Com“. Auch hier verwaltet und hilft das Tablett. Spannende Randnotiz: Bei der Entwicklung des letzten „X-Com“-Computerspiels wechselten die Entwickler vom digitalen Prototyp zum analogen Brettspiel. Der Aufwand war zu groß geworden; erst die Möglichkeit, rasch mit Papier und Bleistift in das hochkomplexe Spielsystem einzugreifen, ermöglichte die Fertigstellung.

Alle Ansätze verbindet, dass nach einer anfänglichen Phase der Spielerei langsam ein gangbarer Weg gefunden wird, um digitale Eingabegeräte sinnvoll in Gesellschaftsspiele einzubinden. Dies gelingt erwartungsgemäß unterschiedlich gut, und die bemüht modern gewählten Namen regen bisweilen zum Schmunzeln an, aber dennoch: Die Verlage lassen nicht locker und erhoffen sich neue Absatzmärkte.

Ein wirklicher Trend sind diese Hybridkonzepte vor allem in Relation zu ganz klassischen Gesellschaftsspielen aber nicht. Und auch eine Ablöse ebendieser muss nicht befürchtet werden. Besonders schön zu beobachten war, dass die Verlage dieses Jahr auch das Segment der Familienspiele sehr ordentlich bedient haben. Fast etwas ungewöhnlich für die Spielemesse im Herbst, richtet sich doch der Blick der Vielspieler nach Essen. Erfahrungsgemäß werden einfach zugängliche Spielkonzepte vorrangig in Nürnberg zu Anfang des Jahres vorgestellt. Deshalb an dieser Stelle und als Gegenpol zu vielfältigen analog-digitalen Konzepten zwei richtig gute Spiele für den gemeinsamen Spieleabend. Ganz ohne smarte Unterstützung.

Venezia mit flottem Spielablauf

Ein flotter Spielablauf überzeugt bei „Venezia 2099“ von Leo Colovini, erschienen bei Piatnik. Die Spieler versuchen, als Kunstsammler möglichst viele Kunstschätze zu retten. Besonders spannend ist das sich verändernde Spielfeld. Nach und nach versinkt die namensgebende Lagunenstadt und schränkt dadurch die Bewegungen der Spieler ein. Nach der Neuauflage des Klassikers „Inkognito“ und „Golden Horn“ ist dies der dritte Ausflug des Wiener Spieleverlags in das südliche Nachbarland.

Etwas weiter geht die Reise bei „Orongo“ von Reiner Knizia bei Ravensburger. Die Spieler wetteifern darum, auf den Osterinseln möglichst rasch die eigenen Moai auszustellen. Der promovierte Finanzmathematiker Knizia kombiniert geschickt verschiedene Elemente und überzeugt vor allem durch den positiven Bietmechanismus. Runde für Runde nehmen die Spieler geheim Muscheln in die Hand, um Chips zu ersteigern. Dabei wird aber nicht nur der Gewinner, sondern werden auch die Nachkommenden bedient. Und wer mit einer leeren Hand geboten hat, bekommt sogar Nachschub an Muscheln. Diese permanente interaktive Einbindung aller Mitspieler ist typisch für viele Gesellschaftsspiele europäischer Schule und funktioniert eben auch ohne digitale Verquickung ganz prächtig. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2014)

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