Schau mir in die Augen, Spieler!

Ab der Jahrtausendwende haben immer schnellere Internetverbindungen dafür gesorgt, dass Mehrspielerpartien fast nur noch online ausgetragen worden sind. Seit Kurzem gibt es ein Comeback des lokalen Spielerlebnisses, man sitzt wieder gemeinsam vor einem Bildschirm.

Es wirkte zunächst wie eine technisch-soziale Evolution: Bis in die Neunzigerjahre spielte man Videospiele gemeinsam auf einer Konsole. Man saß nebeneinander, jeder hatte einen Spielcontroller in der Hand. Am Computer war es ebenso, nur hatte man hier Joysticks oder unterschiedliche Bereiche auf der Tastatur, um gegen- oder miteinander in einem Spiel anzutreten. Ende der 1990er-Jahre kam eine bahnbrechende Veränderung: Nun schleppte man seinen nagelneuen Windows-PC zur sogenannten LAN-Party, wo die Computer sodann alle miteinander in einem lokalen Netzwerk verbunden wurden. Jeder spielte fortan auf seinem eigenen Gerät und doch war man in einem Raum (meist war es eine große Halle) miteinander verbunden und konnte sich gemeinsam freuen, absprechen oder beschimpfen.

Die LAN-Party-Zeit war allerdings nicht sonderlich langlebig. Kurz nach der Jahrtausendwende war sie weitgehend obsolet, denn die immer schneller werdenden Online-Verbindungen waren für moderne Spieler mittlerweile wesentlich attraktiver geworden. Heute als Klassiker geltende Spiele wie „Counter-Strike“, „Starcraft“ oder „Everquest“ waren damals brandneu und haben die lokal vernetzten Computer alt aussehen lassen. Noch mehr von gestern waren nur die alten Spielkonsolen, bei denen man gemeinsam oder gegeneinander oft nur durch den sogenannten Splitscreen spielen konnte, bei dem die Bildanzeige am Fernseher oder Computerbildschirm geviertelt wurde und dementsprechend klein und unbequem für das Auge war.

Bis heute ist es gängig und üblich, Computer- und Videospiele über das Internet zu spielen. Viele aktuelle Games werden sogar so entwickelt, dass der Mehrspielermodus im Netz das eigentliche Spiel darstellt. Einzelspielererlebnisse werden immer öfter ausgespart, vor allem im Bereich schneller Taktik- und Strategiespiele. Doch überall, wo es Trends gibt, formieren sich früher oder später Gegenbewegungen. Viele Menschen, die nicht die Zeit und Muße haben, sich in den meist komplexen und spielerisch herausfordernden Online-Games zu messen, sind auf der Suche nach einfachen, sozialen Spielerlebnissen. Deshalb startete um das Jahr 2010 eine neue Strömung, entfacht durch die Einführung von Apples iPad. Das iPad ist praktisch zum Lesen und Websurfen, vor allem aber ein ideales Spielgerät. Im Lauf der nächsten fünf Jahre sollten kleine, simplere Games für Smartphones und Tablets einen bemerkenswerten Aufstieg erleben. Da man auf dem Touchbildschirm nur tappen und wischen kann, sind sperrige Strategiespiele dabei kaum an der Tagesordnung. Und obwohl man auch mit dem iPad via Internet spielen kann, macht es viel mehr Spaß, sich mit einem Freund oder Familienmitglied an einem Gerät zu vergnügen. So gibt es etwa Spiele wie „Fingle“, bei dem man mit einer zweiten Person die Finger richtig positionieren muss, sodass man sich nicht selbst im Weg ist. Oder man übt sich im guten alten Pfitschigogerln, nur diesmal eben virtuell – etwa im Game „OLO“.

Mittlerweile hat sich das gemeinsame Spielen auf einem Gerät sogar wieder von den tragbaren Geräten hin zu den Standcomputern und Konsolen erweitert. Dort schlägt es sich vor allem bei den sogenannten Indie-Games (kurz für „independent“, also unabhängig von großen Firmen und Geldgebern) nieder: kleinere Titel, die zwar technisch nicht besonders aufwendig, dafür spielerisch oft umso überzeugender sind. Den kreativen Einfällen sind dabei keine Grenzen gesetzt. So trägt man etwa gemeinsam und gegeneinander Kämpfe als knallbunte Narwale aus („Starwhal“), läuft gemeinsam durch mit unzähligen Fallen gespickte Verliesen („Spelunky“) oder trägt tödliche Degenduelle mit pixeligen Ninjafiguren aus („Nidhogg“).

Im Sommer 2013 ist in Berlin sogar ein kleines Kollektiv zu den lokalen Mehrspieler-Games gegründet worden, das im Folgejahr ihre erste eigene Konferenz namens Join auf die Beine gestellt hat. Join, das ist eine Einladung, auch mitzuspielen. Es ermutigt dazu, gemeinsame Spielerlebnisse im selben Raum zu genießen.

In Wien wird bereits seit dem Frühsommer 2010 gemeinsam gespielt, und das sogar in der Öffentlichkeit. Eine Gruppe an Spielkulturfreunden und -entwicklern hat damals die Veranstaltungsreihe „zamSpielen“ ins Leben gerufen. Dabei werden jeweils einen Abend lang an einem bestimmten Ort – etwa im Museumsquartier – sowohl Computer- als auch Brettspiele zusammengetragen und gespielt. Jeder ist bei „zamSpielen“ willkommen, auch wenn man nur auf ein Getränk und zum Plaudern vorbeikommt.

Virtuelles Bowlen für Senioren

Heute ist das lokale Spielerlebnis beinahe wieder so populär und in die digitale Spielkultur integriert wie in den 1980er- und 1990er-Jahren. War es damals an technische Restriktionen gekoppelt, ist diese Ausformung heute ein Ausdruck der Vielseitigkeit von Computer- und Videospielen. Eine Firma ist sogar in den Dürrejahren des lokalen, gemeinsamen Spielens immer dafür gestanden und hat dabei sogar noch Innovationen und wirtschaftliche Erfolge abgeliefert: die traditionelle japanische Games-Firma Nintendo. Mit der Einführung der Wii-Konsole Ende 2006, die anfangs noch von vielen belächelt, jedoch später zum Millionenseller wurde, haben sogar Senioren das virtuelle Bowling oder Tennis kennen- und lieben gelernt. Bis heute steht Nintendo für soziale Spielerlebnisse, was etwa durch die neuesten Ausgaben des drolligen Kampfspielklassikers „Super Smash Bros.“ bewiesen wird. Bei diesem Game kämpfen bis zu vier Spieler mit Figuren aus dem Nintendo-Universum: Von Super Mario über Donkey Kong bis hin zur Fitnesstrainerin der Workout-Anwendung „Wii Fit“ gibt es eine große Auswahl an Charakteren. „Super Smash Bros.“ ist über die Jahre hinweg so populär geworden, dass es nicht nur ein Garant für gesellig-entspannte Spielabende vor dem Fernseher ist, sondern auch Profispieler anlockt, die in Turnieren gegeneinander antreten.

Doch egal, ob Experte oder Laie: Es geht nichts über das Gefühl, seinem Gegner direkt in die Augen zu sehen und sich mit seinem Mitspieler gemeinsam zu freuen, wenn man mit vereinten Kräften endlich diesen einen schweren Abschnitt gemeistert hat. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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