Brüsseler Tage des Terrors

„Expedition Europa“: was an Belgien verzweifeln lässt.

Als in Paris acht Terroristen unter Brüsseler Beteiligung zuschlugen, war ich zufällig wieder in Brüssel. Ich sage wieder, weil ich auch während „Charlie Hebdo“ zufällig inBrüssel war, abgestiegen im Viertel beim Südbahnhof, aus dem die Täter ihre Kalaschnikows hatten. Ich zwang mich damals, zu einem marokkanischen Friseur zu gehen. Weil ich mich nicht auffressen lassen wollte vom Ressentiment.

Am Mittwoch, dem elften, war ich im Europäischen Parlament. Seit „CharlieHebdo“ stehen belgische Soldaten davor, das Gewehr geschultert. Offene Empfänge auf den weiten Zentralfluren sind nicht mehr gewollt. Dort liegt nur noch eine Broschüre mit der bangen Frage auf, ob das Leitungswasser im Parlament trinkbar sei. Ja, lautet die Antwort, die DG INLO kontrolliert es. Am Mittwoch bekamen nur geschlossene Gesellschaften zu essen, die hausinterne Lobby „Kangaroo Group“ sowie die Scheichs von „EU – United Arab Emirates, Enhancing Economic Perspectives“. Außer der Mini-Plenarsitzung gab es Konferenzen. Etwa: „Interreligious Dialogue Conference on Reform of RadicalHeritage and Islamic Discourse“. Oder: „European Charter of the rights of citizens over 65 with chronic pain“.

Ich lernte zwei spannende Abgeordnete kennen, einen griechischen Linken und einen slowakischen Evangelisierer. Der Grieche hat eine Doku über die Frau gemacht, die zu unser aller Unglück die Funktion des Hegemons ausübt. „Merkel ist vollkommen ideenleer”, fasste er zusammen. Mit dem Spielraum, den ihnen das EU-Mandat verschafft, wirkten beide zufrieden: Der Grieche kann trotz Kahlschlags zu Hause leichter Dokus machen, der Slowake macht sein Brüsseler Miethaus den verschiedensten Menschen auf.

Zur Tatzeit im Theater

Am Donnerstag, dem zwölften, gab es im EU-Parlament: „Russians in Syria“, „The Future Declassified“, „The Gender Dimension of Trafficking in Human Beings“, „Women on Boards“.

Am Freitag, dem 13., saß ich zur Tatzeit in einer Theaterpremiere. Das „Königliche Flämische Staatstheater“ öffnetedie Akte der „Killerbande von Brabant“, die 1982 bis 1985 bei Überfällen 28 Menschen erschoss. Das Morden ist bis heute nicht geklärt. Dass die Killer ohne Not undmit militärischer Präzision mordeten, ließ beängstigende Fährten aufkommen: Brüsseler Polizisten, eine faschistische Verschwörung, kaschierte Abrechnungen im Milieu der „Rosa Ballette“, elitärer Sexparties. Die Akte ist geeignet, an Belgien zu verzweifeln, an diesem inwendig parzellierten und paralysierten Staatsgebilde,das wie auch Bosnien dem Islamismus nutzt. Die beunruhigendsten Fährten ließ der Theatermonolog weg. Das Premierenbuffet war vom Feinsten.

Am Samstag, dem 14., spazierte ich durchs Viertel beim Flämischen Theater. Multikulti höchster Ordnung; Afrika, Maghreb, Balkan, transsexuelle Straßenhuren, Bobo-Bars. Ich setzte mich in die Neuübernahme „'54“. Orientalische Opis, am Spielautomaten eine resche Frau in Panther-Pyjama. Ich zwang mich, arabische Schnulzen anzuhören. Dann albanisches Musikfernsehen, dann arabische Schnulzen zu albanischen Clips.

Eine rumänische Kommissionsbeamtin sagte das vereinbarte Treffen ab. Sie simste: „Habe gerade ein paar Araber gesehen, wie sie in der Straßenbahn einen zusammengeschlagen haben, der sie hässlich angeschaut haben soll.“ Blaulicht raste vorbei, in Richtung des nun so berüchtigten Molenbeek. Ich wollte wieder ins „'54“, die Polizei hatte es aber gerade geräumt. Die bulgarische Barfrau erklärte mir seelenruhig die Musikpolitik: „Wir legen auf, je nachdem, was gerade für Kunden da sind.“ Ich zwang mich,Muslime nicht hässlich anzuschauen. Als ich am Sonntag, dem 15., im Flieger saß, atmete ich auf. ■

Terror in Paris - Diskutieren Sie mit im Themenforum!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.