Koller: „Wir können noch mehr erreichen“

RUSSIA SOCCER UEFA EURO 2016
RUSSIA SOCCER UEFA EURO 2016(c) APA/EPA/YURI KOCHETKOV (YURI KOCHETKOV)
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Österreichs Fußballteam steht kurz vor der erstmaligen sportlichen Qualifikation für eine EM-Endrunde. ÖFB-Teamchef Marcel Koller kennt alle Gründe für den Höhenflug, er will trotzdem „kein Wunderwuzzi“ sein.

Herr Koller, Sie wurden von Armin Wolf in der „ZiB2“ nach Ihrer Bestellung zum ÖFB-Teamchef vor knapp vier Jahren gefragt, ob Sie denn wissen, was ein Wunderwuzzi sei. Mittlerweile sehen Sie viele als solchen – Sie selbst auch?

Marcel Koller: Nein, ich bin noch immer kein Wunderwuzzi, auch wenn ich von einem Fan ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Wunderwuzzi“ bekommen habe. Der Erfolg der jüngeren Vergangenheit ist das Produkt von harter und konsequenter Arbeit. Wir haben uns über dreieinhalb Jahre etwas aufgebaut – mit Spielern, die bereit sind, unsere Vorstellungen umzusetzen. Siege wie zuletzt gegen Russland haben dieser Mannschaft ein besonderes Selbstvertrauen eingehaucht.

Der 1:0-Sieg in Russland hat die Tür zur nächstjährigen Europameisterschaft weit aufgestoßen. Haben Sie Ihre Mannschaft jemals besser Fußball spielen gesehen als in Moskau?

Für mich war das Heimspiel gegen Montenegro (1:0, Anm.) noch besser. Aggressivität, Umschaltspiel, die Ruhe bei Ballbesitz – da hat sehr viel gepasst.

Haben Sie 2011 daran geglaubt, dass die Mannschaft 2015 derart gefestigt und gut sein könnte?

Meine Zusage, Österreich vor vier Jahren zu übernehmen, hat sich in dem Sinne bestätigt, dass sich mit diesen Spielern etwas entwickeln hat lassen. Das war auch der Grund, warum ich meinen Vertrag nochmals verlängert habe.

Hatten Sie bei Ihrem Amtsantritt eine übergeordnete Vision, ein großes Ziel vor Augen?

Mein Ziel war es, diese Mannschaft unter die Top 30 der Weltrangliste zu führen. Diese Marke hatte ich für mich im Kopf verankert. Jetzt stehen wir noch ein bisschen besser da – und ich denke, wir können noch mehr erreichen.

Aber haben Sie sogar von Rang 14 in der Fifa-Weltrangliste zu träumen gewagt?

Nein. Ich hatte den Gedanken, dass sich das Team irgendwo zwischen Platz 20 und 30 wiederfindet, aber dass wir so weit vorne landen . . . ein 14. Rang sagt schon ein bisschen etwas aus.

Wie groß ist die Aussagekraft der Weltrangliste denn eigentlich? In Deutschland wurde über unsere WM-Qualifikationsgruppe mit Wales (Nummer neun) etwas gescherzt . . .

Ich glaube nicht, dass in Deutschland sehr viele Leute die Entwicklung von Wales verfolgen. Wir haben vor zweieinhalb Jahren mit 1:2 in Wales verloren, wissen, wie kompakt und aggressiv diese Mannschaft spielen kann. Zudem haben sie mit Gareth Bale einen absoluten Topspieler in ihren Reihen, der viele Spiele mit Toren oder Vorlagen entscheidet. Die Weltrangliste ist sicher nicht das Nonplusultra, aber sie ist die Bestätigung, dass du vorne dabei bist. Das nächste Ziel muss es sein, sich über einen längeren Zeitraum in der Spitzengruppe festzusetzen.

Hat das ÖFB-Team ein Limit, eine natürliche sportliche Grenze?

Das ist schwierig zu beantworten. Aber wir werden nicht sagen, dass es unmöglich ist, unter die Top 10 zu kommen.

Sie haben nicht lange gebraucht, um sämtliche Kritiker, die es anfangs zur Genüge gab, auf Ihre Seite zu holen. Verspüren Sie deshalb auch eine Form von Genugtuung oder Zufriedenheit?

Nein, eine solche habe ich nie verspürt. Ich habe mich auch damals nicht aufgeregt, als die Erschütterung durch meine Bestellung bei so manchem Österreicher groß war. Ich freue mich für Österreich, für die Fans und für die Spieler, dass wir auf einem guten Weg sind. Alles andere ist nicht entscheidend.

Sie haben in der Schweiz, Deutschland und Österreich trainiert. Welche Unterschiede konnten Sie ausmachen?

Wenn du erfolgreich bist, ist überall alles gut. Wenn nicht, wird es in Deutschland eine Stufe aggressiver und direkter. In der Schweiz ist es in Krisenzeiten etwas ruhiger, die Leute sind zurückhaltender. Österreich liegt diesbezüglich irgendwo in der Mitte.

Ihr Vertrag läuft bis zur EM-Endrunde 2016 in Frankreich. Machen Sie sich heute schon Gedanken über Ihre weitere persönliche Zukunft?

2016 und die EM-Endrunde sind noch weit weg. Aber klar, ich mache mir Gedanken.

Lassen Sie mich daran teilhaben...

...es werden sich einige Fragen auftun. Kann es noch weiter gehen? Ist das Team bereit dazu? Haben wir noch Möglichkeiten, uns weiterzuentwickeln? Gibt es für mich die Möglichkeit zu bleiben? Ich weiß ja nicht, ob der ÖFB das möchte oder einen neuen Weg einschlagen will. Das ist alles noch zu besprechen.

Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, irgendwann auch nochmals eine Vereinsmannschaft trainieren zu wollen.

Ich möchte nicht sagen, dass ich nur noch Nationaltrainer sein will. All das ist abhängig von Alternativen, die sich auftun können. Ich möchte mir diese Entscheidungen offen halten.

Sie haben in der Vergangenheit stets an Ihrem Stamm festgehalten, Marc Janko oder auch Robert Almer immer wieder das Vertrauen geschenkt, selbst wenn diese bei ihren Klubs monatelang im Abseits standen. Was hat Sie so sicher gemacht, dass diese Spieler im Nationalteam immer ihre Leistung abrufen werden?

Das weißt du eigentlich nie, du kannst nicht davon ausgehen. Es hat sich eine gute Kombination aus meinem Vertrauen in die Spieler und die Leistung der Spieler auf dem Platz entwickelt. Mir war klar, dass es ein Risiko ist, wenn der eine oder andere im Verein nicht oder nicht regelmäßig spielt, ich sie aber trotzdem im Nationalteam auflaufen lasse. Aber meine Überzeugung war immer, dass diese Spieler Fußball spielen können, sie zu uns passen. Es war ja auch für die betroffenen Spieler eine Belastung, wenn sie zu hören bekommen: „Du spielst bei deinem Verein nicht, also was willst du eigentlich hier im Nationalteam?“

Hatten Sie nie Angst vor negativen Schlagzeilen?

Nein, das nicht. Aber mir war schon immer klar, dass ich diese Entscheidungen zu verantworten habe. Im Moment der Entscheidung bin ich aber überzeugt davon, dass es das Richtige ist. Und die negativen Schlagzeilen habe ich ja schon bei meinem Amtsantritt bekommen, damit kann ich umgehen.

Herbert Prohaska sagte in einem »Presse am Sonntag«-Interview vor einigen Wochen, dass Sie das österreichische Phänomen der Verhaberung vermeiden. Ist das reines Kalkül Ihrerseits?

Zu meinen Anfängen in Österreich wusste ich nicht einmal, was das Wort Verhaberung zu bedeuten hat. Das eine ist für mich die Freundschaft, das andere der Job. Ich habe in meiner Berufslaufbahn immer versucht, diese Dinge zu trennen. Das ist meine Linie.

Steckbrief

1960
wird Marcel Koller in Zürich geboren.

7 Titel, 5 Cupsiege
Er absolvierte seine komplette Fußballerkarriere bei Grasshoppers Zürich.

Nati – der Eidgenosse
Er bestritt 55 Länderspiele, Höhepunkt: EM 1996 in England.

1997
begann Koller seine Trainerlaufbahn. Er betreute Wil, St. Gallen, Grasshoppers, Köln und bis 2009 Bochum.

2011
wurde er zum ÖFB-Teamchef bestellt, er verlängerte 2013 seinen Vertrag.

2015
steht Österreich vor der ersten sportlichen Qualifikation für eine EM-Endrunde.

EIN KASSENSCHLAGER

Die Heimspiele sind ausverkauft
Die Heimspiele in der EM-Qualifikation – am 5. September gegen Moldau und am 12. Oktober gegen Liechtenstein – in Wien sind jeweils ausverkauft (48.500 Zuschauer).

Nummer 14 der Welt – so weit oben wie noch nie
Das ÖFB-Team hat in der Weltrangliste mit Rang 14 ein Allzeithoch erreicht, liegt ex aequo mit Slowakei mit 1016 Punkten auf dem 14. Rang.
Fifa-Weltrangliste: 1.
(1) Argentinien, 1425 Punkte; 2. (3) Belgien, 1244; 3. (2) Deutschland, 1226; 4. (4) Kolumbien, 1218; 5. (6) Brasilien, 1186; 14. (15) Österreich, 1016; 37. (33) Schweden, 752; 127. (124) Moldau, 236.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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